Erschienen am 18.01. im Berliner Stadtmagazin zitty. Da das zitty kein Online-Archiv hat, hier der komplette Text in der Originalfassung.

Charlie Brown ist an allem Schuld
Peanuts, Popeye & Prinz Eisenherz. Comicverlage entdecken die Klassiker wieder – in edlen Gesamtausgaben.

Von Stefan Pannor

Charlie Brown & die Gang

Schuld an allem sind die „Peanuts“. Als im Mai 2004 der US-Verlag Fantagraphics fast zögerlich die ersten Hardcover-Bände einer Gesamtausgabe der Strip-Serie auf den Markt warf (zum stolzen Preis von 25 Dollar), wurden diese den Händlern aus den Händen gerissen. 25.000 Stück verkaufte man allein vom ersten Band der Abenteuer von Charlie Brown, Snoopy und den andren innerhalb weniger Monate. Ein Überraschungserfolg.Zwar hatte sich der im Februar 2000 verstorbene „Peanuts“-Schöpfers Charles M. Schulz in 50 aktiven Comiczeichnerjahren ein respektables Imperium aus Strips und Merchandising geschaffen. Zu Lebzeiten war er einer der bestverdienenden Künstler der USA. Aber neues Material gab es nach seinem Tod nicht mehr. Das alte dagegen rasselte weiterhin in der Endlosschleife durch hunderte amerikanischer Zeitungen und unzählige zum Teil billigste Auswahlbände. Der Markt war also voll und mit einem großen Erfolg einer Luxusausgabe nicht wirklich zu rechnen.Als entscheidend erwies sich die Liebe zum Objekt. So enthielten vor allem die ersten Bände der Edelausgabe viele ausgesprochen rare Strips, für deren Beschaffung umfangreiche Recherchen nötig waren und die nie vorher den Weg in eine Buchausgabe fanden. Dazu kam das von Chris Ware entworfene Nostalgia-Design der Bände, welches tatsächlich ein Kunstwerk für sich darstellt.

Glücklicherweise übernimmt der Hamburger Carlsen-Verlag diese Ausgabe eins zu eins für seine im Herbst gestartete „Peanuts“-Edition. Im Rhythmus der englischsprachigen Vorlage erscheint halbjährlich ein Band. 12 Jahre lang, wenn alles gut geht, dann liegt der grosse Traum des grossen Charles Schultz von seinen kleinen Peanuts auch auf deutsch komplett vor.(je ca. 400. S, € 29,90)

In den USA wurde „The complete Peanuts“ nicht nur ein verlegerischer Erfolg. Sondern auch Markstein einer Rückbesinnung. Sind Comicstrips doch die Urform, in der das Medium vor über 100 Jahren seine ersten Schritte wagte. Und klassische Zeitungsstrips in bibliophilen Ausgaben haben dort seitdem Konjunktur. Fantagraphics veröffentlicht „Dennis the Menace“, Drawn & Quarterly „Gasoline Alley“ und IDW „Dick Tracy“. Wegbestimmende, vor allem aber populäre Comics in den USA, wo viele dieser noblen Ausgaben inzwischen die Verkäufe der Superhelden-Comics überflügeln.

Calvin & Hobbes

Etwa „The complete Calvin & Hobbes“. Heftige 12 Kilo wiegt dieser Buchamboss, der auf 1.200 Seiten für 125 $ praktisch alle Folgen der legendären Reihe sammelt. Die Startauflage des Werkes im Herbst 2005 betrug eine Viertelmillion. Bis Weihnachten 2005 war sie komplett vergriffen. Inzwischen wurde nachgedruckt.

Auch in Deutschland werden Comicstrips wiederentdeckt. Mit der edlen Hardcover-im-Schuber-Version der englischen Vorlage kann die deutsche Economy-Ausgabe von „Calvin & Hobbes“ zwar nicht mithalten. Schmale, verkleinerte Bändchen erscheinen seit Ende 2005 bei Carlsen Comics (je ca. 100 S., € 12,00). Die bezaubernden Welterklärungsmassnahmen des kleinen Calvin und seines Stofftigers Hobbes beeinträchtigt das zum Glück nicht. Sind sie doch erstmals in dieser Ausgabe komplett, ganz im Gegensatz zu früheren, wild zusammengewürfelten und unvollständigen Ausgaben.

Eine Überraschung auf dem deutschen Markt ist der umfangreiche Auswahlband klassischer „Popeye“-Strips. Hierzulande gilt der knorrige Matrose gemeinhin als Kinderkram, verhunzt durch unsägliche TV-Trickfilme. Dabei schuf Elzie Segar mit seinem Zeitungsstrip in den 30er Jahren ein stilbildendes Kompendium des Obskuren, voller bizarrer Randeinfälle und noch bizarrerer immer wiederkehrender Nebenfiguren. Nichts für Kinder oder schnellen Konsum. Mitunter seitenweise ohne ersichtliche Pointe strickte Segar eine Welt, in der das Absurde Gesetz war und schwarzer Humor der einzige Weg, alle Fährnisse zu überstehen. (Mare Buchverlag, ca. 500 S., € 29,90)

Auch ein Schmuckstück: die jüngst gestartete „Prinz Eisenherz“-Gesamtausgabe, stilecht als großformatiger Foliant gestaltet (BoCoLa, ca. 120 S., € 19,90). Hal Fosters Königsknabe, ab 1937 im Format einer ganzen großen Zeitungsseite veröffentlicht, setzt nach wie vor der Maßstab für Opulenz im Comicbereich. In der Hochphase der Serie schuf Foster ein vor Details vibrierendes, hochspannendes Comic-Mittelalter. Für die neue Gesamtausgabe hat der Bonner Kleinverlag sämtliche Seiten der Serie aufwendig rekonstruiert, im Lauf der Zeit verlorengegangene Details wieder hergestellt und die Farbgebung dem Original angepasst. So entstand ein Directors Cut des Überklassikers.

Damit ist der Trend noch lange nicht zu Ende. Kommerziell erfolgreich gestartet ist auch die „Garfield“-Gesamtausgabe (Ehapa Comic Collection, ca. 400 S., € 29,90) des fetten, wenn auch nicht all zu philosophischen Katers von Jim Davis. Weitere Editionen ähnlicher Serien hat der Verlag bereits angekündigt.

Und hierzulande produziert Volker Reiche mit ungebremster Energie seinen brillanten täglichen Polit-Strip „Strizz“ für die FAZ, dessen erfolgreiche Buchausgabe jährlich erscheint (Beck, 288 S., € 12,90). Sein linkes Gegenstück, Andreas Michalkes Subkulturen-Comic „BigBeatLand“ aus der Jungle World, erschien dieser Tage in Buchform. (Reprodukt, 100 S. € 15,00). Beide sicher nicht in der Tradition von Schulz‘ „Peanuts“. Aber ein bißchen mit dran schuld ist Charlie Brown auch hieran.

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One Response to “Charlie Brown ist an allem Schuld”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » SPIEGEL.de: ‘Komik ohne Kater’ says:

    […] Hier noch ein älterer Artikel von mir über die Neuauflagen klassischer Comicstrips – u.a. über Garfield. Dass ich den nämlich nicht großartig kennen würde (wie ein SPON-Forumsuser vermutet), ist falsch … […]