Der deutsche Comicmarkt wendet sich – jedenfalls abseits der Mangas – immer mehr der Vergangenheit zu. Neben einer Vielzahl Gesamt- und best-of-Ausgaben klassischer Alben- und Superhelden-Comics werden jetzt auch die Disney-Comics historisch aufbereitet.

Nostalgie ist das Gegenteil von Erinnern. Nostalgie verklärt, Erinnern erklärt. Erinnern greift stets immer auch Voraus, setzt die Vergangenheit in Kontext zu Gegenwart und Zukunft. Nostalgie bleibt strikt dem Vergangenen verhaftet.

Die Vielzahl Nachdrucke klassischer Comics müssen vor diesem Ansatz gelesen werden. Die besten („Prinz Eisenherz“ und jegliche Carl-Barks-Edition etwa) bieten nicht nur gute Comics, sondern erklären uns, weshalb der Comic von heute ist, wie er ist, und bieten Inspiration.

Die schlechten dagegen drucken nur Material, weil es schonmal gedruckt wurde, um einen Wiederbegegnungswunsch zu erfüllen, der selten von Wert ist.

Nehmen wir an, Nostalgie und Erinnern bilden die jeweiligen Endpunkte einer Skala. Wo müsste man den vorliegenden Band darauf einordnen? Ziemlich genau in der Mitte. Der Titel ordnet die Geschichten ihrer Entstehungszeit nach ein (mit einer Ausnahme – dazu weiter unten mehr), nicht so sehr ihrer deutschen Veröffentlichung nach – ein Großteil des Bandes ist sogar deutsche Erstveröffentlichung. Dennoch wird klar, am Seitenlayout und an der thematischen Ausrichtung und der Wahl der Figuren, dass wir es hier eigentlich mit einer Retrospektive auf die „Micky Maus“-Hefte der Siebzigerjahre zu tun haben, nicht auf den Disney-Comic-Cosmis im Ganzen.

Das ist gut, das setzt den Fokus. Aber was erfahren wir aus dem Band?

Manches hier ist nur die Erkenntnis wert, dass es wenig wert ist. Paul Murry etwa, noch nie einer der besten Disney-Artists, war in den Siebzigerjahren nach mehreren Jahrzehnten Comicarbeit endgültig im Hamsterrad gefangen, die immer gleiche Micky-Maus-Geschichte nur vor wechselndem Hintergrund zu erzählen. Diese Comics waren reines Füllmaterial, das auch mit zeitlichem Abstand nicht besser wird.

Ähnliches gilt für Tony Strobl, dessen Plots häufig so wild wie unausgegoren waren. Hier ist er vertreten mit einem kruden Garn über Dussel Duck als Streifenpolizist, das einen Anfang, aber kein rechtes Ende hat.

Wenn wir etwas daraus lernen, dass die Siebzigerjahre ein durchwachsenes Jahrzehnt waren. Barks war weitgehend in Rente, Floyd Gottfredson (von dem hier eine winzige Auswahl Strips der Jahre 1969 – 1975 enthalten ist) kreativ nahezu erlahmt oder womöglich einfach nur durch die engen Vorgaben des Comicstrip-Syndikats geknebelt.

Die durch Autoren wie Don Rosa ab den Achtzigerjahren eingeleitete Rennaissance der Disney-Comics ist noch Zukunftsmusik, die Hochphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre ein ferner Schatten. Selbst der Fließbandproduzent Vicar, fraglos der interessanteste Disney-Newcomer der Siebzigerjahre, kann den qualitativen Ausfall nur leidlich abfedern. Seine Geschichten (zwei in diesem Band) sind die stabilsten jener Ära.

Das kann man dagegen nicht von den in diesem Band enthaltenen brasilianischen Comics sagen. Diese haben nicht zu Unrecht den Ruf, qualitativ eher unterdurchschnittlich zu sein. Jose Carrioca, eigentlich für den Trickfilm „Die drei Caballeros“ geschaffen, feiert hier sein retroaktives Debüt. Während die Figur des leichtfüssigen Papageis im deutschen „Micky Maus“-Heft erst in den Neunzigerjahren kurzzeitig zum Einsatz kam, stellt sie in Brasilien seit Jahrzehnten einen Eckpfeiler der Disney-Comics dar.

Ebenso wie die andere in diesem Band enthaltene brasilianische Geschichte belegt die Carrioca-Episode vor allem, weshalb die brasilianischen Comics bisher höchst selten in deutschen Comicveröffentlichungen zum Zuge kamen: sie unterbieten das qualitative Niveau selbst einer schlechten Geschichte von Murry und Strobl noch ein Stück weit.

So bleibt ein Band, der verblüffend frei ist von nostalgischen Anwandlungen, nicht zuletzt weil er diese qualitativ immer wieder unterläuft: sicher die Hälfte dessen, was in diesem Band enthalten ist, ist der Verklärung kaum wert. Aber leider, und das ist das Problem, heisst das auch, dass die Hälfte der Geschichten nicht unbedingt gelesen werden müssen.

Diverse
Disco, Ducks und Dauerwelle – Die 70er in Entenhausen
Egmont, 176 S.; €19,99

Comments are closed.