Der Comic-Revoluzzer Harvey Pekar schreibt die Geschichte der Beat-Literatur als Comic – und scheitert.

Die Verdienste des im Juli 2010 verstorbenen Harvey Pekar sind unbestreitbar. In den Siebzigerjahren hatte der hauptberuflich als Krankenhausangestellter arbeitende Pekar das Genre des autobiografischen Comic erfunden, indem er seine Alltagsunbillen aufschrieb und von Szenegrößen wie Robert Crumb zeichnerisch umsetzen liess.

In den folgenden drei Jahrzehnten widmete Pekar seiner „Autobiography in progress“ mehrere tausend Seiten und schuf damit eine der umfangreichsten und detailiertesten Lebenserzählungen überhaupt. Wegen des ausbleibenden kommerziellen Erfolgs arbeitete er weiterhin im Krankenhaus. Erst als Pekar Anfang des Jahrzehnts in Rente ging, verschob sich sein Fokus hin zu Erzählungen über andere. Es entstanden Comics über Vietnam, Mazedonien, die Studentenbewegung in den USA und die Beat-Literatur.

Letzterer, „The Beats“, im amerikanischen Original 2009 erschienen, ist deshalb beachtenswert, weil es sich um Pekars erste eigenständige Veröffentlichung in deutscher Sprache handelt (sieht man vielleicht einmal von einigen Kurzcomics mit Robert Crumb ab, die verstreut publiziert sind) – rund zwei Monate nach seinem Tod.

Aufgehängt am Leben der Autoren Kerouac, Ginsberg und Burroughs, will das Buch einen Abriss der Geschichte dieser literarischen Bewegung liefern. Schon wegen deren exaltierten Lebensstils schwingt eine Vielzahl Themen darin mit: der die Beatniks inspirierende Jazz (eine von Pekars vielen Obsessionen), Homosexualität, Machismo, Drogen und Mord.

Pekar allerdings schreitet die Lebensstationen seiner Figuren it der Manieriertheit eines Studienrates ab – und raubt ihnen so jede Faszination. Statt ein komplexes Bild der miteinander verwobenen Lebenswege der Autoren zu entwerfen, dröselt er die Biografien einzeln auf, hakt pflichtgetreu ab: erst tat Kerouac dieses, dann jenes… Dann das gleiche Spiel für Ginsberg und Burroughs nochmal, zum Teil sogar mit den selben Sätzen. Das ist nicht Literatur, das ist Wikipedia, nur ohne Links.

Die Zeichnungen (hauptsächlich von Pekars Stammzeichner Ed Piskor) sind hierbei nichts weiter als blutarme Illustrationen unter den dürren historiologisierenden Texten, auf die zuguterletzt Sprechblasen gepappt sind, als wäre dem Autor eingefallen, dass Sprechblasen zu einem Comic dazugehören, die aber doch nichts zu sagen haben. „Juhu!“ macht Kerouac, als er seinen ersten eigenen Roman verkauft, als wäre er ein kleines Kind, dem man ein Eis geschenkt hat.

Das ist von einer Banalität, die ans Parodistische grenzt. Nicht nur dort. An kaum einer Stelle wird aus dem krampfhaft bebilderten Text und dem hilflos übertexteten Bildern wirklich ein Comic, dessen einzelne Elemente untereinander kommunizieren. Zwar waren Pekars Geschichten stets sperrig und etwas unbeholfen. Aber nie waren sie so dysfunktional wie hier.

Dem Autor Pekar erweist der Verlag einen Bärendienst, indem er ausgerechnet dieses Buch als dessen erste deutschsprachige Veröffentlichung ausgewählt hat, das ganz ohne Zweifel zu Pekars schwächsten gehört. Passend dazu allerdings die deutsche Edition. Die ist nicht nur unsauber redigiert, voller Satzfehler, sondern auch lieblos in einer unpassenden Einheitsschriftart gelettert, die Texte beliebig in die Textkästen gequetscht, ein trauriges Beispiel dafür, wie man einen Comic nicht in eine andere Sprache überträgt.

Walde + Graf, 208 S.; € 22,95

(Manuskriptfassung. Eine redigierte und gekürzte Fassung erschien in der Frankfurter Rundschau.)

PS: Perlentaucher schreibt den Text Christian Schlüter zu. Das ist falsch.

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    1. Stefan Pannor » Blog Archive » Aktuelle Comicrezension (171): ‘Dracula’ & ‘Der letzte Mohikaner’ says:

      […] eine kaum differierende Fassung meines Artikels für die Frankfurter Rundschau über Harvey Pekars The Beats. Verwandte […]