Literaturadaptionen im Comic sind häufig fade. Anders als im Film, wo eine Vielzahl herausragender Regisseure faszinierende Adaptionen geschaffen haben, finden sich im Comic vor allem gefühllose und oberflächliche Nacherzählungen von Klassikern. Warum ist das so? Zwei aktuelle Adaptionen zeigen, dass es wichtig ist, sich nicht sklavisch an von der Vorlage gelieferten Bildwelten zu halten.

Cromwells „Der letzte Mohikaner“ erzählt Coopers bekannte Erzählung inhaltlich zum Teil worgetreu nach. Allerdings löst sich Cromwell von bekannten Panelstrukturen des Comic. Seine Adaption besteht aus großformatigen, mal ganzseitigen, mal ineinander über fliessenden diversen Bildern.

Wenig Licht, viel Schatten: die damals noch weitgehend unberührten Urwälder Nordamerikas sind bei ihm nicht mythisch, sondern gefährlich, und die Menschen darin nichts anderes als Raubtiere. Verfeindete Indianer und Marodeure hausen im Dschungel und machen jeden Schritt zur Gefahr. Nur selten ist klar zu erkennen, was gerade geschieht.

Aber grade diese grafische Ambivalenz steht dem Originaltext näher, als es jede rein auf eine Nacherzählung der Geschichte abzielende Adaption sein könnte. Auch bei Cooper spielte die Landschaft eine entscheidende Rolle, seine fünf Lederstrumpf-Bücher – deren zweites „Der letzte Mohikaner“ ist – handeln vom Untergang der Wildnis und dem Aufkommen von Zivilisation und Ordnung.

„Der letzte Mohikaner“ ist eben weder Western noch Kinderbuch, auch wenn vor allem deutsche Verlage den Roman gern so verkaufen, sondern eine naturalistische, böse und bittere Schilderung des langsamen Sterbens eines Volkes und einer Figur. Diese Atmosphäre des Untergangs fängt Cromwell in seinen undurchdringlichen Bildern hervorragend ein.

Deutlich klarer im Ansatz ist Pascal Crocis Adaption von „Dracula“. Nicht nur deshalb ist sie problematisch. Der Comic zerfällt in zwei Teile. Im ersten erzählt Croci, mehr oder weniger frei, die Lebensgeschichte des realen Vlad Tepes, des historischen Vorbildes für Dracula.

Leider tunkt er diese Erzählung in Klischees von spritzendem Blut, aufgespiessten Köpfen, von bizarren Hexen in Gothic-Gewand und dem über alle Maße grimmig dreinschauenden Tepes. Hier wird mit dem Holzhammer Geschichte nacherzählt, auf jeder Seite erkennt der Leser „Das war ganz dolle schlimm“.

Um so faszinierender, weil von einer tiefen Stille durchdrungen der zweite Teil, die Nacherzählung von Stokers Roman. Nicht nur, weil Croci sich auf Stokers faszinierende Sprache als Grundlage stützen kann, ist dies eine herausragende Adaption. Sondern auch, weil Croci das Wagbnis eingeht, die Geschichte eins zu eins nachzuerzählen, aber weder Dracula noch seine Opfer jemals zu zeigen. So wird die Geschichte zu einem bizarren Tanz einzelner Gestalten, die in der verschneiten Winterlandschaft Rumäniens einem Phantom nachjagen.

Croci gibt zu, dass er sich für die Gestaltung der Bilder beim sicher atmosphärischsten Vampirfilm als Vorlage bedient hat, „Tanz der Vampire“. Es tut dem Comic guht, dessen Schrecken – wie jeder gute Schrecken – aus Stille und Nichtwissen besteht, daraus, das Monster nicht zu zeigen und den Betrachter im Unklaren zu lassen. Als Einzeladaption wäre dieser Teil hervorragend, leider zieht ihn in der Summe der klischeebelastete erste Teil nach unten.

Der letzte Mohikaner: Splitter, 144 S.; €19,80
Dracula: Ehapa Comic Collection; 160 S.; €39,95

Comicrezension für die Leipziger Comic Combo, erstellt im Herbst 2010.

Wer sich wundert, wo die #170 geblieben ist: bei der handelt es sich um eine kaum differierende Fassung meines Artikels für die Frankfurter Rundschau über Harvey Pekars The Beats.

Verwandte Geschichten:

a) Vampire:

  • Vampire
  • Stephen Kings ‚American Vampire‘

  • b) Literaturadaptionen:

  • Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
  • Klassikerverdichtung
  • One Response to “Aktuelle Comicrezension (171): ‚Dracula‘ & ‚Der letzte Mohikaner‘”

    1. DMJ says:

      Ein Problem, welches mir häufig an Literaturadaptionen auffällt ist, dass oft zuviel Text übernommen wird und einfach nur mit Bildern unterlegt. So bekommt der Leser zwar die wichtigsten Zitate mit und lernt den Stil der Vorlage kennen, aber als Comic bleibt es dadurch unselbstständig und traut sich nicht wirklich, gemäß dem eigenen Medium zu erzählen.