Das Blut aus der Geschichte saugen
„American Vampire“: Stephen King analysiert zwei Sollbruchstellen der amerikanischen Geschichte mit seinem neuesten Comic

von Stefan Pannor

Stephen King - American VampireEs beginnt, wie oft bei Stephen King, mit einem Schriftsteller. „Ich habe nur einen Roman in meinem Leben geschrieben – ‚Böses Blut‘ – aber das hat genügt, um mich reich zu machen“, beginnt der fiktive Autor Will Bunting seine Erzählung von dem Desperado Skinner Sweet, der in Colorado in den letzten Tages des wilden Westen nach einem gescheiterten Bankraub in Gefangenschaft von einem Vampir gebissen und darauf selbst zum Blutsauger wird.

Es ist die Erzählung einer Erzählung. Sie handelt vordergründig davon, wie Will Bunting eines Tages seinen Roman schreiben wird. Aber auch davon, welche vorgeblich realen Ereignisse er in diesem Buch schildern wird. Kings finaler Dreh: „American Vampire“, diese Geschichte über Blutsauger und Bücher, ist kein Buch, sondern ein Comic.

Natürlich ist das eine Sensation. Es ist der erste wirklich nach einem originalen Skript von King gezeichnete Comic, sieht man einmal von zwei Seiten in einem „X-Men“-Comic der achtziger Jahre ab – einem Benefizbuch für die Afrika-Hungerhilfe.

Graphic Novels sind Neuland für den Schreckensmeister. Und davon gibt es nicht mehr viel. Längst agiert King multimedial. Bereits in den achtziger Jahren begann er Filmregie zu führen. Zu diversen seiner Romanverfilmungen hat er selbst die Drehbücher verfasst. Aus seiner Feder stammt das Skript für ein Musikvideo von Michael Jackson. Er hat Hörspiele geschrieben und war einer der ersten E-Book-Autoren – im Jahr 2000 hatte er das Kurzwerk „Riding the Bullet“ exklusiv online publiziert. In seiner Freizeit musiziert er in einer Band, zusammen mit „Simpsons“-Erfinder Matt Groening.

Nur Comics hat er nie gemacht. Dabei, ein Fan war Mr. King schon immer. In einem aktuellen Interview äußert er sich als Leser der obskuren 40er-Jahre-Serie „Plastic Man“ und als Fan von Jack Kirby, dem Miterfinder klassischer Superhelden wie der „X-Men“ oder den „Fantastic Four“.

Trotzdem hat ihn inzwischen sogar sein Sohn als Comicautor überrundet. Der veröffentlicht, unter dem Pseudonym Joe Hill, nicht nur ebenfalls Romane, sondern seit 2008 mit akzeptablem Erfolg die Mystery-Comicserie „Locke & Key“.

Von Papa King dagegen gibt es zwar bereits eine stattliche Anzahl Graphic Novels, die seinen Namen auf dem Cover tragen. Doch selbst wenn diese, wie im Fall der Comicreihe zu Kings 4.000 Seiten langem Mega-Epos „Der dunkle Turm“, damit werben, neue Geschichten zu erzählen, statt nur die Romane aufzukochen, ist das etwas irreführend. Kein einziges Wort in diesen Bilderzählungen stammt von King, der seinen Erzählkosmos an andere Autoren ausgelagert hat.

So läßt sich „American Vampire“, King Seniors erster originärer Comic, wie ein inner-familiärer Wettbewerb zwischen Vater und Sohn um den besseren Comic lesen. Vor allem aber ist es, wie so oft in den jüngeren Werken Kings, eine Geschichte über Amerika. In diesem Fall über zwei Wendepunkte in der Geschichte des Landes. King, der schon immer die Mittel des Gruselschockers als Kontrastmittel verwendet hat, um seine Heimat genauer zu analysieren, taucht tief ein in die Historie der USA – und bringt Blut wieder mit hoch.

Das Blut von Skinner Sweet nämlich, der nach dem Biss durch den Vampir als rachsüchtiger Ahasver durch die amerikanische Geschichte wandert. In zwei parallelen Erzählsträngen verfolgt „American Vampire“ Skinners Lebenswege, einmal im Mittleren Westen ab 1880, und dann in Kalifornien ab 1925. Nur der frühere Teil wird von King selbst verfaßt.

Die andere Hälfte stammt von Scott Snyder, einem jungen Horrorautor, der sein Glück noch gar nicht fassen kann. Laut eigener Schilderung hatte Snyder, mit grade mal einem Buch auf dem Markt ein absoluter Frischling, dem Doyen der Horrorliteratur das Projekt ursprünglich unterbreitet, um King einen „Blurb“ zu entlocken – einen signifikanten Werbespruch für das Cover der geplanten Comics. King habe daraufhin von sich aus seine Zusammenarbeit angeboten und diese immer weiter ausgedehnt.

Beide Erzählstränge handeln, auf eine hintergründige Weise, von Licht. Von elektrischem Licht, um genau zu sein. 1880 wurde erstmals eine Stadt in den Vereinigten Staaten mit Glühbirnen beleuchtet, die zivilisatorische Moderne des Landes brach an. Und 1925 reden die Filmangestellten unter massiven Studioscheinwerfern über eine obskure neue Erfindung namens Tonfilm. Sie wird kurz darauf das bestehende System der Filmstars komplett umkrempeln.

Aber Skinner Sweet macht das Licht nichts aus. Er ist als neuzeitlicher, eben amerikanischer Vampir dagegen immun. Er trägt wie viele Westleute seiner Generation Stetson und Mantel, und er ist dem Neuen gegenüber offen – er nutzt die Post, um die Köpfe seiner Opfer zu verschicken. „American Vampire“ ist eine Reflektion über die Anpassungsfähigkeit des Bösen an andere Zeiten. Der romantische Fledermausvampir, wie ihn Bram Stoker und andere schilderten, wird ersetzt durch den elektrischen Daywalker. Sweet zerfällt in der Sonne nicht zu Staub, er kriegt höchstens Kopfschmerzen.

King und Snyder erzählen aber in lakonischen Dialogen und staubtrockenen Bildern (gezeichnet Rafael Albuquerque, wie Snyder ein Newcomer im Geschäft) nicht nur von einem Anfang, sondern auch ebenso von einem Ende. Und sie tun das, weil es so schön ironisch ist, mit einem Unsterblichen. Der Vampir, der Sweet beißt und dann in Sonnenlicht und Kugelhagel vergeht, markiert in dieser Geschichte das Ende des alten Europa.

Es schleicht sich darum ein wehmütiger Ton in die Erzählung ein. Sicher nicht zufällig ähnelt der europäische Vampir, als er Sweet beißt, der im Wortsinne bleichen Darstellung Max Schrecks als „Nosferatu“ in Murnaus gleichnamigem Film. Wie überhaupt der Comic auf einer weiteren Ebene eine sehr liebevolle Hommage an das Kino ist, an den Wayne- und den Leone-Western einerseits, an die große Zeit der amerikanischen Stummfilme andererseits. So unterkühlt sich King und Snyder geben in ihrer sarkastischen Umwandlung des alten Vampirthemas auf amerikanische Verhältnisse – diese Zitate und der nostalgische Grundton belegen, dass sie im tiefsten Innern doch, so wie Stoker und die anderen klassischen Horrorautoren, Romantiker sind.

Das King nun Comics schreibt, kommt den amerikanischen Verlagen grade recht. Denn auch der Comicmarkt befindet sich an einem Wendepunkt. Zwar verkaufen sich Comics im Buchhandel immer besser. Allerdings sind seit der Finanzkrise die Verkaufszahlen der monatlichen Heftserien im freien Fall. Die Comichefte bilden seit den Zwanzigerjahren das klassische Format des amerikanischen Comic. Nun könnte ihre Zeit gekommen sein, unken Marktbeobachter.

Ganz besonders schlimm hat es das Vertigo-Label getroffen, eine Unterabteilung des Superhelden-Verlages DC. In den Neunzigerjahren stand es für eine neue und zugleich sehr erfolgreiche Art des Comicerzählens, Werke von Alan Moore („V wie Vendetta“) und Neil Gaiman („The Sandman“) erschienen dort in Bestsellerauflagen. Mittlerweile verkauft sich ein aktueller Vertigo-Titel im Schnitt keine zehntausend Mal mehr. Selbst für aktuelle amerikanische Verhältnisse ein miserabler Mittelwert. (Ein durchschnittliches Superhelden-Heft von DC verkauft immer noch rund drei Mal soviel.) Es steht außer Frage, daß „American Vampire“ die Zahlen kräftig anheben wird.

Eine kurzfristige Infusion für ein darnieder liegendes Medium? Auch andere Bestseller-Schreiber stehen bereit, den gebeutelten Heften zu helfen. „Comics sollten viel mehr Leser erreichen, als sie es derzeit tun“, wird Thriller-Autor James Patterson zitiert. Unter Pattersons Namen soll ab Mai eine ganze Comicedition beim amerikanischen Kleinverlag IDW starten, mit Adaptionen seiner Bücher, aber auch mit neuem Material von Patterson.

Ebenso haben Stephenie Meyer („Twilight“) und Charlaine Harris („True Blood“) ihre Romane zur Comicadaption freigegeben – der Manga zu „Twilight“ hat sich bereits in der ersten Woche über 66.000 Mal verkauft. Rekord für eine Graphic Novel in der Erstverkaufswoche. Ein satanisches Omen für King, der seiner Verachtung für Meyers Vampire schon früher lautstark Ausdruck verliehen hat?

„American Vampire“, Heftserie, erscheint monatlich bei Vertigo USA, 40 Seiten, $3,99

Stephen King - American Vampire

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Ursprünglich in gekürzter Fassung in der Welt veröffentlicht.

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