Morgen erscheint „Auf der Suche nach Calvin & Hobbes“ bei Carlsen. Das Sachbuch von Nevin Martell beschäftigt sich gar nicht so sehr mit den beiden Comicfiguren. Sondern vor allem mit ihrem Schöpfer Bill Watterson, der – pynchonmässig – ein wunderbares Geheimnis um sich und sein Leben gemacht hat. Dass der Band bei Carlsen überhaupt erscheint, liegt wohl, irgendwie, an mir.
2009 hatte ich den damaligen Redakteur bei Carlsen Comics, Michael Groenewald, auf den frisch in den USA erschienen Titel hingewiesen. Natürlich unter der Prämisse, dass ich immer auf der Suche nach Übersetzungsaufträgen bin.
Groenewald zeigte sich nicht uninteressiert, wollte aber erstmal klären, ob Carlsen den Titel überhaupt bringen dürfte. Immerhin ist Carlsen offizieller Lizenznehmer der Calvin-&-Hobbes-Strips. Wogegen „Auf der Suche nach“ kein offizielles Begleitprodukt ist. Ich sollte solang schon mal eine Expertise verfassen. Dafür gab es 100 Euro Honorar und leihweise das Buch. Und wenn Carlsen es macht, darf ich es übersetzen.
Wie das so ist: eine Zusage hält nur solange, bis sich die Personalie ändert. Groenewald hat Carlsen Comics als Angestellter inzwischen verlassen. Ralf Keiser ist als Programmleiter aktuell für diese Projekte zuständig. Ich habe den Band nicht übersetzt. Man kam gar nicht auf die Idee, mich zu fragen oder mir Bescheid zu geben.
Ich habe gelernt: das nächste Mal lasse ich mir ein Erfolgshonorar zusichern, falls mein Pitch erfolgreich ist. Und pitche währenddessen lieber bei Verlagen, auf die ich mich verlassen kann.
So oder so, hier ist die Expertise. Man beachte bitte, dass ich sowas noch nie vorher geschrieben hatte. Wie sehr sie die Entscheidungsprozeße im Verlag beeinflußt hat oder ob sie nach Michael Groenewalds Abgang aus dem Verlag überhaupt noch gelesen wurde, weiss ich nicht.
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Nevin Martell
Looking for Calvin & Hobbes
Sachbuch, 244 S. (OA), keine Illustrationen
In zehn chronologischen Kapiteln versucht Nevin Martell einen Abriß sowohl der Entstehungs- und Publikationsgeschichte als auch der des Lebens von Bill Watterson zu geben.
Bekanntlich ist Bill Watterson seit annähernd fünfzehn Jahren in der vollständigen Anonymität versunken. Es gibt kaum Bilder von ihm, nur sehr wenige Interviews (keines davon jünger als 20 Jahre) und eine äußerst beschränkte Zahl von Sekundärquellen über Wattersons Leben. Sein Gesamtschaffen, soweit publiziert, ist überschaubar und besteht zum allergrößten Teil aus den „Calvin & Hobbes“-Strips.
Die wenigen verfügbaren Quellen zu Watterson hat Martell akribisch ausgewertet. Dazu gehören zum einen diverse Schul- und Hochschulakten, ein langes und diverse kurze Gespräche mit ehemaligen Schul- und Universitätsfreunden, kurze Kontakte mit Wattersons Eltern und die wenigen Selbstzeugnisse Wattersons in Form von Interviews, Vorworten und autobiographischen Skizzen. Kontakt zu Watterson oder seinem direkten Umfeld ist ihm erwartungsgemäß nicht gelungen.
Besser stellt sich die Sachlage bei der Historie von „Calvin & Hobbes“ dar. Martell hat mit Vertretern verschiedener Syndikate und mit zuständigen Redakteuren gesprochen, zudem mit Zeitungs- und Buchverlagsredakteuren, die in die Geschichte des Strips involviert waren. Die verschiedenen Phasen von Entwicklung und Verlauf des Strips werden detailiert und nachvollziehbar geschildert.
Dennoch ist und bleibt die Faktenlage zu Watterson dürftig, und Martell kann daran wenig ändern. Um dem Buch mehr Substanz zu verleihen, enthält es zusätzlich Gespräche mit diversen Comicstrip-Zeichnern, die mehr oder weniger mit Watterson zu tun hatten, sowie längere Absätze, in denen Martell über sein eigenes Verhältnis zu „Calvin & Hobbes“ schreibt.
Damit bleibt am Ende ein zwiespältiger Eindruck: einerseits bietet das Buch einen profunden Einblick in die Geschichte von „Calvin & Hobbes“. Die Details zu Wattersons Leben dagegen bleiben häufig vage. Sequenzweise wirkt das Buch, insbesondere durch Martells Ausführungen über sich selbst, unnötig aufgeblasen.
Zusammenfassend – für die Veröffentlichung spricht: es ist das einzige derzeit verfügbare Sachbuch über Watterson und C&H. Es sammelt ausführlich Selbstzeugnisse von Watterson, wenn auch in der Regel nur in auszugsweisen (langen) Zitaten, die anderweitig nicht in deutscher Sprache verfügbar sind. Es vermittelt einen (verbalen) Eindruck von Wattersons Schaffen vor C&H. Die Werkgeschichte von C&H wird detailiert geschildert. Es vermittelt einen Eindruck von der Bedeutung des Strips für die Comiclandschaft durch die Äußerungen von Wattersons Kollegen.
Gegen eine Veröffentlichung spricht: das Buch ist nicht illustriert. Der Autor neigt zur Geschwätzigkeit. Das Buch enthält praktisch keine neuen Fakten (allerdings ein Argument, das nur für Comicfachleute von Relevanz ist, nicht für die angepeilte Leserschaft des Buches im Gesamten).
Sollte eine deutsche Veröffentlichung in Frage kommen, würde ich eine leichte Kürzung des Textes zur Debatte stellen: diverse Abschweifungen Martells über sich selbst – insgesamt vermutlich weniger als 1% des Textes, dennoch auffällig – lassen sich praktisch mühelos aus dem Text amputieren. Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass eine aktualisierte und erweiterte Fassung des Textes in Vorbereitung ist. Ohne diese zu kennen, würde ich trotzdem dazu raten, im Fall des Falles auf diese zurückzugreifen.