William Vance ist einer der Meister des realistischen europäischen Comics. Vierzig Jahre lang hat er in einer Vielzahl Serien Maßstäbe gesetzt. Zwei parallel erscheinende Gesamtausgaben zweier von ihm gezeichneter Serien zeigen die Bandbreite des Ausnahmezeichners.

Hätte man 1966, als „Bruno Brazil“ losging, ahnen können, dass dieser William Vance, der da die Zeichnungen tat, einmal einer der Größten des realistischen europäischen Comics werden würde?

Aufsehenerregender als Vances immer etwas reißbrettartige Zeichnungen waren doch wohl, jedenfalls zu Beginn der Serie, die Skripte von Michel Regnier, der – unter dem Pseudonym Greg – einige der besten „Spirou“-Episoden verfasst hat (darunter das großartige „QRN ruft Bretzelburg“, des Helden einziger Ausflug in einen Staat, der sich unschwer als DDR erkennen läßt), und auch sonst ein reichlich produktiver Autor war, obwohl er nie so bekannt wurde wie ähnlich aktive und vielseitige Szenaristen wie Goscinny und „Blueberry“-Autor Charlier.

Es war eine jener typischen semi-erwachsenen, semi-erwachsenen „Tintin“-Serien. Wobei die Grundidee von „Bruno Brazil“, die Vorstellung eines unbesiegbaren supercoolen Sondereinsatzteams, das in der Weltgeschichte aufräumt, u.a. mittels Bomben in Absatzschuhen und ähnlich kruden Gimmicks, nicht nur an der Grenze zur Trivialität tanzte, sondern gelegentlich weit ins Territorium des Unfugs ging.

Mit der Realität hatte es jedenfalls nicht viel zu tun.

Obwohl die Figuren an realen Schauplätzen etwa in den USA und Vorderasien eingriffen. Wenn Brazil und seine Mannen eine Bombe beseitigen sollen, die von Militärs des extrem rückständigen Thailand im 2. Weltkrieg gebaut wurde und nach Lesart des Plots die ganze Welt vernichten könnte, dürfte das selbst für jugendliche Leser damals schwer zu schlucken gewesen sein.

Aber anders als der geschwätzige Charlier war Greg ein Wortökonom, der abstruse Plots wie diesen mit einem bis heute modern wirkenden Tempo durchpeitschte, ohne den Leser mit erklärenden Wortschwallen zu erschlagen, wie es Charlier in seinen Serien tat. Orientiert eher an amerikanischen Fernsehserien, ging es für einen französischen Jugendcomic schon mal ungewohnt heftig zur Sache, den Tod von Hauptfiguren inbegriffen.

Bis, ungefähr in der Mitte der Serie, aus den handfesten, aber etwas steifen Zeichnungen von Vance beinahe plötzlich ein Rausch an Formvielfalt, naturalistischer Einfühlsamkeit und Zeitkolorit wurde.

Ab hier überstrahlte Vances Realismus klar Gregs Eskapismus. Die Serie zerbrach an dem Widerspruch nicht. Für einen kurzen Moment zog sie sogar ihren Vorteil daraus, dass Vance die Pulp-Traumwelten von Regnier einerseits durch eine Vielzahl Details in der Realität verankerte und sie andererseits durch aufsehenerregende Seitenlayouts gnadenlos überhöhte.

Das Ende der Serie war da trotzdem schon in Sichtweite.

Zwei Handvoll Alben, drumherum ein paar Kurzgeschichten und ein Fragment, sind der ganze „Bruno Brazil“, der von der Ehapa Comic Collection aktuell in drei Bänden aufgelegt wird. Davon lohnt sich vor allem der mittlere, der den Übergang Vances vom Talent zum Meister markiert, eine Elegie in fein ziselierten Explosionen und Bleihhageln. Der Rest ist wohl doch eher für beinharte Nostalgisten und Trash-Liebhaber geeignet.

Wohin es Vance eigentlich trieb, lässt sich an von „Bruce J. Hawker“ sehen. Hier war Vance, zumindest zu Beginn, sein eigener Autor – das ist der große Pferdefuß der Marine-Serie.

Ja, die erste Hälfte der Serie um den jungen Navy-Leutnant tritt, um diesen Kalauer noch mitzunehmen, ziemlich viel Wasser.

Es geht eher kopflos hin und her, die Figur wird befördert, degradiert, befördert, ausgestoßen, verlassen, geliebt, verlassen. Ordnung in das narrative Chaos kam erst mit André-Paul Duchateau, der in der zweiten Hälfte der Serie die Szenarios schrieb.

Aber was für ein toll anzusehendes Chaos es war!

Vances Darstellungen des Marine-Alltags, seine zum Teil waghalsigen Perspektiven, seine penibel naturalistischen Darstellungen von Schiffen und Landschaften, vor allem aber seine Fähigkeit, Wetter zu zeichnen, machen „Hawker“ zu einem atmosphärischen Rausch.

„Hawker“ ist deutlich das Werk eines Zeichners, nicht eines Erzählers. Die grafische Seite überwiegt immer. Vances Idee, in späteren Bänden auf einen Szenaristen zurückzugreifen, war wohl das Beste, was der als Autor überforderte Zeichner tun konnte.

Aber trotz Ko-Autor bleibt „Hawker“ immer das Kind von Vance, geschaffen wohl wirklich vor allem, um sich beim Zeichnen von Segelschiffen, Sturm und Wellengang austoben zu können. Was ihm auch prachtvoll gelingt.

Michel Regnier/ William Vance: Bruno Brazil Gesamtausgabe – 3 Bde., je ca. 200 S.; €29,99
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William Vance: Bruce J Hawker Gesamtausgabe – 2 Bde., je ca. 200 S.; €34,80 – 39,80
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