Es ist grade frisch erschienen: „Hip Hop Family Tree“ von Ed Piskor. Die Übersetzung war eine Freude und eine Herausforderung – hier erkläre ich warum.


Das sagt sich so leicht: „Ich würde nie Songtexte übersetzen“. Aber dann kriege ich Ed Piskors „Hip Hop Family Tree“ vorgesetzt, und muss diese Einstellung überdenken.

Vielleicht erst einmal grundsätzlich: das Buch zerfällt in drei, eventuell vier Textebenen. Die oberste ist Piskor selbst, der den Erklärbär, manchmal den Erkläronkel gibt, ein wenig süffisant, ein wenig ironisch, aus der Perspektive der Gegenwart die Geschichte des Hip Hop aufrollt. In schönen, aufgeräumten Textkästen, meist über den Bildern, bringt er Namen und Daten zum dargestellten Geschehen.

Die zweite Ebene sind die Mono- und Dialoge der Figuren. Die sind manchmal historisch belegt, manchmal fiktiv, sprachlich in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren angesiedelt. Gelegentlich lässt Piskor seine Akteure die vierte Dimension durchbrechen und direkt aus dem Bild den Leser anreden. Gelegentlich kommunizieren die Dialoge in den Sprechblasen auf eigenwillige Art mit Piskors Erklärtexten: der eine setzt den Satz des anderen fort und umgekehrt.

(Als weitere Ebene kann man die hier und da ins Bild eingestreuten Bilderläuterungen betrachten, winzige Textkästchen, die mal auf Bilddetails verweisen, mal weitere Informationen enthalten.)

Und dann sind da die Hip-Hop-Texte. Die Lyrics. Viele davon. Natürlich, das ist ein Buch über Hip Hop, das kann man nicht ohne Rap erzählen.

Meine Entscheidung, Songtexte zu übersetzen, rührte vor allem daher, dass sie häufig nicht wie Gedichte als eigene Form existieren, sondern in den Kontext der Musik bzw. des Rhythmus eingebunden sind und nur so ihre volle Wirkung entfalten.

In „Hip Hop Family Tree“ gibt es viele zitierte Songtexte. Einige stammen von bekannten Hits, andere aus obskuren Bootlegs. Eins haben alle gemeinsam: sie sind echt, dokumentarisch belegt.

Hier zeigt sich wieder einmal, was Comicübersetzen von allen anderen Übersetzungsformen unterscheidet. Wäre das ein Buch, man könnte mit erklärenden Fußnoten arbeiten, wo nötig, und die Texte unangetastet lassen. Wäre es ein Film, könnte man im Bedarfsfall Untertitel einsetzen.

Das geht im Comic nicht. Im Comic gilt, was in der Sprechblase steht. Nur manchmal ist zwischen den Panels ein bißchen Platz für eine kleine Fußnote. Hier ist der nicht, und zudem bräuchte man ein ganzes Arsenal davon angesichts der Masse zitierter Songtexte. Der einzige Ausweg: übersetzen, übersetzen, übersetzen.

Ich habe trotzdem vieles davon im Original belassen. Das betrifft vor allem große Hits wie „Rapper’s Delight“ der Sugarhill Gang oder „The Breaks“ von Kurtis Blow. Das betrifft weniger bekannte Routinen und Improvs vor allem da, wo die Musik eher im Hintergrund zum Geschehen läuft und kaum Auswirkung auf die Handlung hat.

Aber ich habe trotzdem viele Lyrics übersetzt. Kurz vor Schluss kulminiert das Geschehen in eine vierseitige Battle-Sequenz aus belegten Texten (es gibt Mitschnitte vom Abend), die nicht nur einiges, was vorher geschildert wurde, aufgreift. Sondern die eben auch vier Seiten lang ist. Hätte ich es nicht übersetzt, wäre der deutschsprachige Leser mit einer für ihn unverständlichen mehrseitigen Sequenz aus dem Buch gegangen, die eigentlich erzählerischer Höhepunkt des Bandes ist.

Als Übersetzer kann man diesen Battle – gegen Klassiker wie Kool Moe Dee – nicht gewinnen. Aber das Buch wird für den deutschen Leser gemacht, der aus gutem Grund auf die deutsche Ausgabe zurückgreift: er will sie in einer für ihn verständlichen Sprache lesen. Handlungsentscheidende Sequenzen nicht zu übersetzen, wäre Verrat am deutschen Leser. Nicht jeder spricht oder versteht den New Yorker Slang der späten Siebzigerjahre. Muss er ja auch nicht: eine Übersetzung geschieht immer für den Leser, nicht für den Autor, nur in geringem Umfang für den Verlag.

Ich habe auch an anderer Stelle immer wieder mal kürzere Songzeilen eingedeutscht, wo es etwa um die oben erwähnte Kommunikation zwischen den Textebenen ging.

Und ich bin mir sicher, der eine oder andere Leser wird das als nicht Fisch, nicht Fleisch empfinden. Tatsächlich funktionierte dieser Teil der Übersetzung nach dem Motto „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“.

Ich bin mit der Übersetzung zufrieden, auch weil es eine weitgehend autonome Textarbeit war. Sämtliche Eingriffe in den Text fanden erst nach meiner Übersetzung statt, in der Regel als Vorschläge, die mir immer die Möglichkeit des Vetos einräumten. Ich habe nach entsprechenden Hinweisen die eine oder andere schon übersetzte Sprechblase mit Lyrics rückübersetzt bzw. re-nichtübersetzt, weil es da dann doch zuviel des Guten war. An einer Stelle ist mir ein „Nigger“ an der unpassendsten Stelle durchgerutscht, und ich bin dankbar, dass jemand anders das gefunden hat.

Von solchen kleineren Eingriffen durch Lektorat und Berater abgesehen, ist „Hip Hop Family Tree“ aber tatsächlich eine Übersetzung von mir. Im Guten wie im Schlechten.

(Die INTRO – und das hat mich als langjähriger Leser gefreut – mag meine Übersetzung jedenfalls.)

Ed Piskor
Hip Hop Family Tree
Die frühen Jahre des Hip Hop

Aus dem Amerikanischen von Stefan Pannor

120 Seiten, 4-farbig
ISBN: 978-3-8493-0090-6
22,99 €

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