Frisch erschienen: „Pandora Science Fiction & Fantasy“ 1
Posted by: Stefan, in ÜbersetztesSehr gefreut habe ich mich über dieses Magazin, das mir Herausgeber Hannes Riffel schon auf der Leipziger Buchmesse kurz zeigte und das kurz danach auch in meinem Postkasten lag – als Belegexemplar natürlich. Der Band enthält auf 13 Seiten die Kurzgeschichte „Erste Person – Gegenwart“ von Daryl Gregory, die von mir übersetzt wurde.
Pandora widmet sich auf 256 gebundenen Seiten im Großformat der anspruchsvollen Science Fiction & Fantasy bzw. der anspruchsvollen Auseinandersetzung mit eben diesen Gebieten. Leider vorerst beschränkt auf Literatur, so dass Comics und Filme wohl in absehbarer Zukunft keine Rolle spielen werden.
Dennoch schliesst der Verlag mit diesem mutigen Projekt, einer Mischung aus Kurzgeschichten, Novellen, Essays und Rezensionen, eine (für mich zumindest) schmerzliche Lücke auf dem hiesigen Markt für phantastische Literatur.
Pandora legt Wert auf literarische und intellektuelle Qualität und hat auch keine Angst. anzuecken oder den leser zu fordern – großartig! Enthalten sind im ersten Band Texte von Tad Williams, Ursula LeGuin, J.G. Ballard, Michael Moorcock, Boris Strugatzki und anderen.
Pandora kostet 14,90 € und kann direkt beim Verlag bestellt werden oder z.B. versandkostenfrei via Amazon. Ausserdem kann es über den regulären Buchhandel geordert werden – die ISBN ist 978-3926126696.
Im folgenden als Anreisser der Anfang der von mir übersetzten Geschichte – in der unlektorierten Fassung direkt von meinem PC. Alle möglichen Fehler wurden von Hannes Riffel herauslektoriert und finden sich nicht mehr im gedruckten Werk – versprochen!
Daryl Gregory
Zweite Person GegenwartWenn ihr denkt: „Ich atme“, so ist das „Ich“ ein Zusatz. Es gibt kein Du, das „Ich“ sagen könnte. Was wir Ich nennen, ist nichts als eine Drehtür, die sich bewegt, wenn wir ein- und ausatmen.
—Shunryu SuzukiIch hielt das Gehirn für das wichtigste Organ im Körper, bis mir klar wurde, wer mir das eingab.
—Emo PhillipsAls ich das Büro betrete, lehnt Dr. S am Schreibtisch und redet eindringlich mit den Eltern des toten Mädchens. Er ist nicht froh, aber als er aufschaut, legt er ein Lächeln für mich auf. „Und hier ist sie“, sagt er, wie ein Spielshow-Moderator, der den grossen Preis enthüllt. Die Leute in den Sesseln drehen sich um, und Dr. Subramaniam gibt mir einen persönlichen, ermutigenden Wink.
Der Vater fällt mir zuerst auf, ein fleckiger, quadratgesichtiger Mann mit einem straffen Bauch, den er wie einen Baseball trägt. Wie bei unseren vorherigen Besuchen blickt er nahezu finster, darum bemüht, seinen Gesichtsausdruck seinen Gefühlen anzupassen. Die Mutter dagegen ist schon am Weinen, und in ihrem Gesicht stehen wie in einem Buch: Freude, Angst, Hoffnung, Erleichterung. Es ist viel zu übertrieben.
„Oh, Therese,“ sagt sie. „Kommst du nun nach Hause?“
Ihre Tochter hiess Therese. Sie starb vor zwei Jahren an einer Überdosis, und seitdem kamen Mitch und Alice Klass dutzende Male ins Krankenhaus, auf der Suche nach ihr. Sie wollen unbedingt, dass ich ihre Tochter bin, und deshalb bin ich es in ihren Köpfen schon.
Meine Hand ist noch auf der Türklinke. „Habe ich eine Wahl?“ Auf dem Papier bin ich erst siebzehn. Ich habe kein Geld, keine Kreditkarten, keinen Job, kein Auto. Mir gehören nur ein paar Kleidungsstücke. Und Robierto, der stämmigste Pfleger vom ganzen Trakt, steht hinter mir im Flur und verhindert meine Flucht.
Thereses Mutter scheint für einen Moment den Atem anzuhalten. Sie ist eine dünne, schmalknochige Frau, die gross wirkt, bis sie neben einem steht. Mitch hebt seine Hand hin zu ihrer Schulter, aber lässt sie dann wieder fallen.
Wie immer, wenn Alice und Mitch zu Besuch sind, fühle ich mich, als wäre ich mitten in eine Soap Opera gestolpert und keiner hat mir meinen Text gegeben. Ich schaue direkt zu Dr. S, und sein Gesicht ist in seinem professionellen Lächeln erstarrt. Mehrmals während der letzten Jahre hat er sie überzeugt, mich länger hier bleiben zu lassen, aber jetzt hören sie nicht mehr auf ihn. Sie sind meine legalen Vormünder, und sie haben Andere Pläne. Dr. S wendet seinen Blick von mir ab und reibt seinen Nasenflügel.
„Das dachte ich mir“, sage ich.
Der Vater runzelt die Stirn. Die Mutter bricht in frische Tränen aus, und sie weint während des ganzen Wegs aus dem Gebäude. Dr. Subramaniam sieht vom Eingang aus zu wie wir wegfahren, seine Hände in seinen Taschen. Ich war noch nie in meinem Leben so wütend auf ihn – die ganzen zwei Jahre nicht.
Weiterlesen im Buch – Seiten 106 – 118, mit zwei Illustrationen von Rebecca Conrad.