Zwischen Sifferpunk und Selbstauflösung – drei Graphic Novels beleuchten, was vom Punk übrig blieb im Jahr Null nach Malcolm McLaren.

+++ Punk-Comics
Siff, Suff und Selbstauflösung +++

von Stefan Pannor

„Punkrock“, hat Joe Strummer angeblich einmal gesagt, „soll unsere Freiheit sein. Wir sollen tun können, was wir wollen.“

Ulli Lust - Heute ist der letzte Tag ...Im Jahr 1984 steht die siebzehnjährige Ulli in Rom. Ulli ist Punk, und sie kann nicht tun, was sie will. In der Stadt spielen The Clash, Strummers Band, und das Konzertgelände ist durch einen gewaltigen Zaun und Security abgeriegelt. Mit der Hilfe von ein paar Freunden schafft es das völlig abgebrannte Mädchen doch noch aufs Gelände. „Wir waren angekommen im Paradies“ beschreibt sie den Moment, als die Band „London Calling“ anstimmt.

Inzwischen lebt die gebürtige Wienerin in Berlin, als Designerin und Comiczeichnerin. Ihre Graphic Novel „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ erzählt davon, wie sie und ihre Freundin nach Italien ausbüchsten, minderjährig, illegal über die (damals noch existierende) Grenze und bis hinunter nach Sizilien.

Es ist eine von drei aktuellen Graphic Novels, die sich mit der Punkszene auseinander setzen. Von allen drei Büchern ist der umfangreiche Comicroman von Ulli Lust der ehrlichste, versierteste und wohl auch der darin schonungsloseste.

Auf 460 Seiten schildert Lust ihren persönlichen Abstieg: Prostitution, Vergewaltigung, Hunger, Drogen und die Mafia bestimmen ihren Weg. Lusts Erinnerungen sind erschreckend detailgetreu und zum Teil mit Originaldokumenten belegt. „Ich habe irgendwann mit 14 geglaubt, ich erlebe etwas, mit 15 habe ich mich schon erfahrener gefühlt als die anderen, mit 16 habe ich schon mehr erlebt, als manche mit 40, jetzt bin ich 17 und habe Zahnweh“, zitiert die Künstlerin zu Beginn der Erzählung einen Ausriß aus ihrem Tagebuch, der vor ihrer Fahrt entstand. Er endet mit der klassischen Parole „Vive l’Anarchie“.

Statt Anarchie erlebt sie vor allem Sexismus. Nicht nur in Form der machistischen Italiener, die den Mädchen permanent nachstellen. Auch innerhalb der Szene begegnet er ihr permanent. No Means No ist nicht: „Du kannst mir auch einfach nur einen runterholen“, bietet der Punk dem Mädchen auf der Party an, nachdem sie klargestellt hat, dass sie nichts von ihm will. Weitere Anmachen auf ähnlichem Niveau folgen. Die männliche Geilheit lauert überall.

Rückzugsmöglichkeit bietet nur die Musik. Neben dem Konzert von The Clash ist es ausgerechnet noch eine Aufführung von George Bizets „Carmen“ in der Mailänder Scala, die zu junge Ulli positiv beeindrucken. „Ein phänomenales Erlebnis!“, notiert sie.

In „Spunk“, einer Graphic Novel über die israelische Szene, ist Musik dagegen das alles verbindende Element. Eine zweiseitige Liste mit Bands hat Gabriel S. Moses, Autor und Zeichner,dem Buch angehängt, danach nochmal eine mit Fußnoten und Quellenverweisen auf Platten und Songs. Eine CD liegt bei, darunter auch ein Track der Parvarim Refugeez, der Band von Moses.

SPUNK - Punk in IsraelDabei ist Israel Punkrock-Niemandsland „allgemein kein kulturfreundliches Land“, wie Moses schreibt. „Punk Rock gibt es noch nicht sehr lange in Israel. Immer wieder höre ich von Skatern, dass sie noch 1995 direkt vom Fernseher aus die Songs aus Skateboard-Filmen mitgeschnitten haben.“

Indirekte Hauptfigur von „Spunk“ ist JJ bzw. Yarden Yáakobi. Sie ist 15 und „so fucking Punk, dass sie dir in jeder Menschenmenge sofort aufgefallen wäre“, eine „Punk-Prinzessin“. JJ träumt vom Bombenlegen, fickt das System und die halbe Stadt und wird vor ihrem sechzehnten Geburtstag sterben – männlicher Idealtypus einer Teenage-Revoluzzerin.

„Spunk“ ist weniger ein Comic im herkömmlichen Sinn als vielmehr ein permanenter Strom von Assoziationen und Bildern. In fiktiven Blogeinträgen, Slogans, Buttons, in schlierigen, flirrenden Bildern und Detailausschnitten entwirft Moses ein Portrait des Mädchens, ihrer Handlungen und indirekt eines der israelischen Gegenkultur. Eine Szene im permanenten Ausnahmezustand: „Klar, hier gibt es immer Krieg. Tagtäglich sterben die Menschen hier an der Front oder auf der Straße. Mit 18 wirst du einberufen, ob du willst oder nicht.“

Keine Zukunft also, No Future, und darum auch im Kern retro: „Die Szene ist auch nicht mehr das, was sie einmal war“, heißt das zweite Kapitel des Buches, ein langes Lamento gegen Emo-Kids und Groupies.

Punkrock HeartlandVertrauter als das Szenario und die collagenhafte Erzählweise von „Spunk“ ist „Punkrock Heartland“ des Hamburger Zeichners Andi Lirium. Wie Ulli Lust zeichnet er Punk-Vergangenheit auf. In diesem Fall die Neunzigerjahre und die Hamburger Szene, in einer zugegebenermaßen etwas kruden Liebesgeschichte um zwei schwule Punks und diverse russische Knastbrüder, eine Ex-Frau, eine Tochter und ein Geschwisterpaar.

Andi Lirium – ein Pseudonym selbstverständlich – greift tief in die Klischeekiste für seine Soap-Opera im Sifferpunk-Milieu, in der viel geliebt und gestorben wird. Fahrradklauen, Nazis verprügeln, auf unbeheizten Dachböden hocken und Dosenbier trinken, unvermeidlich die Ratte als Haus- bzw. Kragentier.

Trotz der Vertrautheit dieser Szenerie ist „Punkrock Heartland“ nicht nur wegen der wilden Handlung von allen drei Graphic Novels hier die irrealste. Es ist über weite Strecken ein Traum in rohen, krakeligen Bildern. Die Jungs mit Iro sind süß und die Mädchen mit zerrissenen Netzstrümpfen aufreizend sexy. Sie sind anatomische Karikaturen mit riesigen Brüsten und gewaltigen Genitalien. Mit der oft dreckigen Realität des Straßenpunk hat das wenig zu tun.

Und so steht der Geschichte zwar voran gestellt „alle Figuren und Orte haben reale Vorbilder“. Aber das ist metaphorisch zu verstehen. „Es gibt diese Menschen nicht, es gibt diesen Knast nicht, nichts davon ist wirklich passiert. Aber es gibt so ähnliche Menschen, und es könnte so ähnlich passiert sein“, erklärt Andi Lirium gegenüber SPIEGEL-Online.

Auch im virtuellen Soundtrack entfernt sich der Zeichner, der als Illustrator ebenfalls in Hamburg lebt und dessen Buch zugleich Abschlußarbeit an der Hochschule für angewandte Wissenschaften war, am weitesten von allem vom Punk. Johnny Cash, Elvis und Karat bzw. Peter Maffay statt Sex Pistols und Dead Kennedys: „Über sieben Brücken mußt du gehen“ und, unvermeidlich, der „Jailhouse Rock“ wird geklampft und gegröhlt.

Nur einmal, ganz am Rande, ist fast so etwas wie Punkrock zu spüren: „I fucked the law“ singt der Sänger der knasteigenen Band. „I fought the law“ sangen 1979 The Clash. Aber das war nur eine Coverversion, das Original zwar zwanzig Jahre älter und lupenreiner Rock’n’Roll.

Ulli Lust: Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens. Avant-Verlag, 468 S.; € 29,95
Gabriel S. Moses: Spunk. Archiv der Jugendkulturen, 96 S. + Audio-CD, € 18,00
Andi Lirium: Punkrock-Heartland, MännerSchwarmVerlag, 176 S.; € 18,00

Verfasst für SPIEGEL-Online und in der veröffentlichten Version hier zu finden.

Comments are closed.