Die Science Fiction ist und bleibt das Problemkind des Comic. Die bei Carlsen jüngst gestartete chronologischen Gesamtausgabe von „Valerian & Veronique“ zeigt, dass das einmal hätte anders werden können. Der fast zeitgleich erschienene finale Band der Serie ist Anlaß, Abschied zu nehmen.

Natürlich gibt es gute Science-Fiction-Comics. Von wenigen Ausnahmen abgesehen handelt es sich dabei aber um Abenteuercomics, eskapistische Fantasien, bevorzugt im Weltraum. Selten findet sich im Comic, was in der Literatur schon lange gang und gäbe ist: Social Fiction, ökologische und feministische SF, technologische SF, die wirklich aktuelle wissenschaftliche Trends aufgreift.

In den Sechzigerjahren war das anders. Weil in diesem Jahrzehnt auch in der Science Fiction Aufbruchstimmung herrschte. Insbesondere in Großbrittanien experimentierten junge Autoren mit neuen Ausdrucksformen, neuen Stoffen und neuen Perspektiven.

In diese Zeit fallen die ersten Abenteuer von „Valerian & Veronique“, die sich tatsächlich als Produkte ihrer Epoche lesen lassen. Formal ist das oft wenig spannend: Valerian, der Zeitagent, der erst allein und später mit seiner Begleiterin Veronique – einem Mittelaltergirl, das sich verblüffend schnell emanzipiert und den futuristischen Gegebenheiten anpasst – umfangreiche, komplexe und vielfach ineinander verwobene Geschichten erlebt, die in der Regel mit Zeitmaschinen, Zeitparadoxa, diversen Zeitebenen zusammenhängen.

Nun ist eine komplexe Oberfläche häufig Mittel, um von inhaltlichen Mängeln abzulenken. Und in der Tat sind die Comic von „Valerian & Veronique“ vor allem eskapistische Fantasiewelten, weniger literarische Erkundungen des Möglichen.

Diverse Dinge allerdings fallen auf: anders als frühe Science-Fiction-Comics, z.B. der Comic-Strip „Flash Gordon“, verzichten Meziere und sein Autor Christin auf Gut-Böse-Klischees, simple Darstellungen von Schurken. Häufig sind die Bösen eher lächerlich oder von ganz eigenen, plumpen oder fremdartigen Motiven angebtrieben.

Zum anderen ist Veronique mehr als die übliche „damsel in distress“. Sie ist vollgültige Begleiterin des Helden, charakterlich, emotional und auch sexuell emanzipiert.

Zum dritten inszeniert Mezieres die Abenteuer als atemberaubende Tour de force durch phantastische Bildwelten. Die Sprache des Comic erfährt hier durch den atemberaubenden Einsatz von Perspektiven, Schnitten, Licht- und Schatteneffekten ebenso Erweiterung wie der Kanon der Bildwelten, der mit jedem Abenteuer um neue, wortwörtlich fantastische Elemente bereichert wird.

All das läßt sich hervorragend in der jüngst gestarteten Gesamtausgabe des Klassikers nachvollziehen. Dass es natürlich nicht ewig so weiter gehen kann, zeigt der fast zeitgleich erschienene 21., jüngste und allerletzte Band der Serie, „Der Zeitöffner“. Er stellt das Finale dar, zeigt aber auch, wie sehr sich Christin und Mézières in ihrem kosmischen Zeitgeschwurbel verirrt haben.

Auch wenn hier verucht wird, alle möglichen Handlungsstränge zu beenden, stellt er weniger ein Aufräumen dar, als mehr ein gnadenloses Großreinemachen nach vierzig Jahren einer ziemlich wilden Party.

Aber das ist okay. „Valerian & Veronique“, in 21 Alben bzw. demnächst sieben Bänden der Gesamtausgabe, sind und bleiben ein Erlebnis für sich, ein europäischer Klassiker.

Mézières/ Christin
Valerian & Veronique
Gesamtausgabe: 7 Bde. á 160 S.; € 29,90
Der Zeitöffner: 64 S.; € 12,00

Verfasst für die Comic Combo Leipzig. Der Vollständigkeit halber: bei der Rezension #176 handelte es sich um eine nur geringfügig veränderte Fassung dieses Textes für die Frankfurter Rundschau.

5 Responses to “Aktuelle Comicrezension (177) ‚Valerian & Veronique‘”

  1. Holger says:

    Lohnt sich die Gesamtausgabe denn für jemand, der eh schon alle einzelnen Alben besitzt, oder ist sie nur alter Wein in neuen Schläuchen?

  2. Stefan says:

    Sämtliche Episoden sind bereits bei Carlsen in den Sotfcovern erschienen. Ob einem die chronologische und redaktionelle Aufbereitung in der Gesamtausgabe wichtig ist, muss jeder selbst wissen – ich würde das allerdings nicht herabwerten. Mein Liebling z.B. ist die Lucky-Luke-Gesamtausgabe, und da war auch nicht’s drin, was ich nicht schon kannte. Aber schee‘ war sie. 😉

  3. Holger says:

    In den Lucky Luke-Bänden gab es ja ein informatives Vorwort zu jedem Album, so etwas finde ich immer hochinteressant. Ist das bei V&V so ähnlich?
    Ich suche gerade nach einem Grund, eine weitere Gesamtausgaben-Reihe anzufangen, die ich mir nicht leisten kann. Wollen will ich, aber momentan erhebt die Vernunft noch Einspruch. 😀

  4. Stefan says:

    Solche Vorworte gehören zum Standard aller Gesamtausgaben, wobei die LL-Vorworte ja eher etwas mäßig waren. Auf einer Skala, auf der v.a. die Blueberry- und Jerry-Spring-Vorworte den höchsten Maßstab repräsentieren, liegen Berners Texte eher im unteren Mittel, v.a. weil sie immer nach dem selben Muster aufgebaut waren und über die reinen Zahlenfakten hinaus wenig Einblick in den Geist der Comics vermittelten, also die Analyse missen ließen. Zum Trost: die späten Hägar- und Garfield-Vorworte sind noch einen Tick schlechter.

    V&V liegt dahingehend eher im klaren Mittelfeld, mit zeit- und comichistorischer Einordnung und ein paar netten Fakten. Aber tiefschürfend ist das nicht.

  5. Holger says:

    Vielen Dank!

    Da muß ich nochmal drüber nachdenken, ob es hier die GA sein muß – oder ob ich nicht mit den Alben zufrieden bin.