Eine eigenwillige, aber amüsante Reaktion auf das Graphic-Novel-Manifest machte offenbar heute via Mail die Runde. Der Versender gibt sich gut verschleiert, ich tippe aber ganz unverhohlen auf den Stuttgarter Raum.
Es gibt offenbar auch einen Blog dazu, man wird sehen, ob und womit der sich füllt. Aus schierem Amüsement hier erstmal der Text des Manifests. Lesen Sie:
DAS NIEDER-MIT-DEN-COMICS-MANIFEST
N I E D E R M I T D E N C O M I C S !
Der Comic ist in seiner Ausführung und Richtung von der Zeit abhängig, in der er lebt, und die Comicmacher sind Kreaturen ihrer Epoche. Die höchste Kunst des Comics wird diejenige sein, die in ihren Bewusstseinsinhalten die tausendfachen Probleme der Zeit präsentiert; der man anmerkt, dass sie sich von den Explosionen der letzten Woche werfen ließ; die ihre Glieder immer wieder unter dem Stoß des letzten Tages zusammensucht. Die besten und unerhörtesten Comicmacher werden diejenigen sein, die stündlich die Fetzen ihres Leibes aus dem Wirrsal der Lebenskatarakte zusammenreißen, verbissen in den Intellekt der Zeit, blutend an Händen und Herzen. Hat die GRAPHIC NOVEL unsere Erwartungen auf eine solche Kunst erfüllt, die eine Ballotage unserer vitalsten Angelegenheiten ist?
N E I N ! N E I N ! N E I N !
Haben die GRAPHICNOVELISTEN unsere Erwartungen auf einen Comic erfüllt, der uns die Essenz des Lebens ins Fleisch brennt?
N E I N ! N E I N ! N E I N !
Unter dem Vorwand der Kunst haben sich die Graphicnovelisten zu einer Generation zusammengeschlossen, die heute schon sehnsüchtig ihre literatur- und kunsthistorische Würdigung erwartet und für eine ehrenvolle kulturpolitische Anerkennung kandidiert. Unter dem Vorwand, die Seele zu propagieren, haben sie im Kampf gegen Inspiration und Kurzweil zu den abstraktpathetischen Gesten zurückgefunden, die ein inhaltloses, bequemes und unbewegtes Leben zur Voraussetzung haben.
Die Seiten füllen sich mit Königen, Dichtern und faustischen Naturen jeder Art, die Theorie einer melioristischen Weltauffassung, deren kindliche, psychologisch-naive Manier für eine kritische Ergänzung der Graphic Novel signifikant bleiben muss, durchgeistert die tatenlosen Köpfe. Der Hass gegen das Risiko, der Hass gegen das Instinktive, der Hass gegen das Aufrichtige spricht für Menschen, denen ihr Sessel wichtiger ist als der Lärm der Straße und die sich einen Vorzug daraus machen, von jedem Mangaka übertölpelt zu werden.
Jener sentimentale Widerstand gegen die Zeit, die nicht besser und nicht schlechter, nicht reaktionärer und nicht revolutionärer als alle anderen Zeiten ist, jene matte Opposition, die nach Gebeten und Weihrauch schielt, wenn sie es nicht vorzieht, aus Spiegelman’schem Verschnitt ihre Pappgeschosse zu machen—sie sind Eigenschaften einer Jugend, die es niemals verstanden hat, jung zu sein.
Die Graphic Novel, die im Ausland gefunden, in Deutschland nach beliebter Manier eine fette Idylle und Erwartung guter Pension geworden ist, hat mit dem Streben tätiger Menschen nichts mehr zu tun. Die Unterzeichner dieses Manifests haben sich unter dem Streitruf NIEDER MIT DEN COMICS zur Propaganda einer Kunst gesammelt, von der sie die Verwirklichung neuer Ideale erwarten.
N I E D E R M I T D E N C O M I C S !
Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich:
Der Comic ist kein Club, der in Berlin gegründet worden ist, in den man eintreten kann, ohne Verbindlichkeiten zu übernehmen. Hier ist JEDER Vorsitzender und JEDER muss sein Wort abgeben, wo es sich um künstlerische Dinge handelt. Der Comic ist nicht ein Vorwand für den Ehrgeiz einiger Kunstschaffender (wie unsere Feinde glauben machen möchten), der Comic ist eine Geistesart, die sich in jedem Gespräch offenbaren kann, sodass man sagen muss: dieser macht Comics, jene nicht; der Club Comic hat deshalb Mitglieder in allen Teilen der Erde, nicht nur in Kassel, Hamburg und Berlin.
Comics machen kann unter Umständen heißen, mehr Kaufmann, mehr Parteimann als Künstler sein, nur zufällig Künstler sein. Comics machen heißt, sich von den Dingen werfen lassen, gegen jede Sedimentsbildung sein. Ein Moment auf einem Stuhl gesessen heißt, das Leben in Gefahr gebracht haben.
N I E D E R M I T D E N C O M I C S !
Ein Gewebe zerreißt sich unter der Hand, man sagt JA zu einem Leben, das durch VERNEINUNG höher will. JA sagen heißt NEIN sagen: Das gewaltige Hokuspokus des Daseins beschwingt die Nerven des echten Comicmachers. So liegt er, so jagt er, so radelt er, halb Snoopy, halb Idefix—und lacht und lacht. GEGEN die ästhetisch-ethische Einstellung! GEGEN die blutleeren Adaptionen der Graphic Novel! GEGEN die weltverbessernden Theorien literarischer Hohlköpfe! FÜR den Comic in Wort und Bild! FÜR das comichafte Geschehen in der Welt!
GEGEN dieses Manifest sein, heißt FÜR dieses Manifest sein!
N I E D E R M I T D E N C O M I C S !
N I E D E R M I T D E N C O M I C S !
N I E D E R M I T D E N C O M I C S !
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(Wem der Text bekannt vorkommt – oder auch nicht – der schaue hier, dann hier.)