In diesem Monat wird Ralf König in Erlangen den Max-&-Moritz-Preis für sein Lebenswerk erhalten. Einerseits berechtigt, andererseits zu früh, ist es Anlaß, nein, Gelegenheit, sich ein wenig mit dem Zeichner und seinem Werk zu beschäftigen. Weiter geht es mit seinem aktuellen Comicroman.

Sätze, hart wie eine Morgenlatte: „Das Erste, was er aus dem Tiefschlaf emportauchend wahrnahm, war seine prallvolle Blase und sein hart erigierter Schwanz.“ Der da erwacht, heisst Bary Hodan, und ja, er ist Weltraumfahrer. Das ist kein Scherz.

Macht König jetzt Science Fiction? Es ist nicht auszuschliessen, dass König in früher Jugend Hefte des unsterblichen Weltraumfahrers Perry Rhodan gelesen hat, jene unkaputtbar seit über einem halben Jahrhundert erscheinende Heftromanserie. Schon einer seiner frühesten Comics ahmte erfolgreich erzählerischen Duktus und sogar die damalige Jahreszahl der Handlung in einer Einleitung nach.

Reine Science Fiction ist es zumindest nicht. Jener Bary Hoden ist die Hauptfigur im neuesten Roman der Figur Paul Niemöser. Und so wie Paul Semi-Alter-ego von König ist, ist Hoden Alter-ego von Paul Niemöser.

Der Roman, den Niemöser da schreibt, ist eine Porno-Weltall-Schmonzette, und ausgehend von den ausführlichen Textauszügen jenes fiktiven Romans, die König in die Handlung um diese und jene unerfüllte Sommerliebe flicht, wünscht man sich, dass alle Porno-Weltall-Schmonzetten so wären.

So komisch. So verspielt. Der Trick mit dem Roman im Comic ist natürlich nicht neu. König hat ihn von amerikanischen Independent-Comiczeichnern entlehnt. Dave Sim hat es bis zum Exzess in seinem dreitausendseitigen „Cerebus“ betrieben, Terry Moore fast so ausgiebig in „Strangers in Paradise“ (das grade bei Schreiber & Leser neu erscheint).

Das sind nun wirklich nicht die schlechtesten Vorbilder. Der Form gegenüber steht Tennessee Williams, dessen „Glasemenagerie“ und „Katze auf dem heissen Blechdach“ Vorbild für den Inhalt des Comics darstellen.

„Endstation Sehnsucht“ ist damit zugleich neuester Eintrag im Langzeit-Erzählprojekt der Beziehung von Konrad und Paul, die inzwischen wohl auch schon fast tausend Seiten in sechs oder mehr Büchern umfasst, formal Königs ungewöhnlichstes Buch und eine weitere jener Meta-Erzählungen der letzten Jahre, die mit Königs Bibel-Adaptionen bzw. -Dekonstruktionen begonnen haben.

Es wäre nun leicht, ein simples Urteil zu fällen. Vorbild für die Handlung um Paul, der mit seiner schwangeren Schwester und deren Liebhaber den Hochsommer in deren heisser Dachwohnung verbringen muss, ist fraglos „Die Katze auf dem heissen Blechdach“. Und der Plot um Konrad, der von einem hyperschüchtern-schwulen Verehrer angemacht wird, stammt aus der „Glasmenagerie“.

Das ist Literatur, kann das Feuilleton schreien. Und König, spätestens seit seiner Mitarbeit im FAZ-Feuilleton geadelt, muss natürlich Literatur machen. Das erwartet man doch von ihm, oder? Aber wie passt Bary Hoden bzw. Perry Rhodan, einer der Inbegriffe trivialer Unterhaltung (neben Jerry Cotton und John Sinclair) da rein?

Tatsächlich ist „Raumstation Sehnsucht“ unter der hochkomischen Oberfläche der sexuellen Irrungen und Wirrungen – mit viel nackter Haut, vielen Erektionen und Dialogen, die man womöglich besser nicht in der Straßenbahn laut vorliest – ein literarisches Spiegelkabinett, das alle Vorurteile über hohe und niedere Literatur aushebelt.

Der Bary-Hoden-Teil ist genauso Bestandteil jener Spiegelungen, als Bild einer Literaturform, die wie alle Literatur von Menschen erzählt, nur auf manchmal vertrackt kodifizierte Art, weil manche Menschen in diesen Heften halt nymphomane Opernsängerandroiden sind. Oder wenigstens Aliens.

Was manchmal viel mehr Spass machen kann. Der innigst begehrte, aber unerreichbare hetero-Schwager wird in dieser Fantasie zum mindestens bisexuellen Weltraumfahrer. Im „Bary Hoden“ schreibt sich Paul, Königs halbes Alter-ego, das Happy-end zurecht, dass er in echt nicht kriegen kann, weil es ihm Tennessee Williams, Königs inhaltliches Vorbild, und ach, das Leben an sich, nicht gestatten. Die Weltraumschmonzette, so komisch, gelegentlich peinlich sie ist, und so gewollt trivial, ist Pauls Seelenstrip und Erlösung zugleich.

Es ist König hochanzurechnen, dass er die Trivialliteratur nicht verrät, nicht als minder neben Williams dastehen lässt, nur weil uns manchmal Welten von ihr trennen. „Raumstation Sehnsucht“ ist damit nicht nur ein hochkomischer Comic, eine lustige Science-Fiction-Parodie, sondern auch eine Liebeserklärung an jede Art von Literatur.

Und wie das so in der Literatur ist: der letzte Dialog geht so, wie das ist, wo man nach dem Lesen hingeht. „Bett? – „Bett.“

Raumstation Sehnsucht
Rowohlt, 160 S.; € 19,95
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Ralf König:

  • 01: Der frühe König
  • 02: Raumstation Sehnsucht
  • 03: Das Interview, Teil 1
  • 04: Das Interview, Teil 2
  • 2 Responses to “Ralf König (02): Raumstation Sehnsucht”

    1. Stefan Pannor » Blog Archive » Ralf König (01): Der frühe König says:

      […] Impressum « Bio, Bio, Bio. Drei Lebensgeschichten im Comic Ralf König (02): Raumstation Sehnsucht » 04 06 […]

    2. Mac Schmitz says:

      Eine wirklich sehr schön geschriebene Rezension. Gut durchdacht, schön recherchiert und flüssig ausgeführt. Davon sollte es wirklich mehr geben.