Asterix-Artikel Nummer zwo. Da es mich in Recherche und Begeisterung beim Verfassen des Artikels mitgetragen hat (trotzdem kratzt der Beitrag allenfalls an der historischen Oberfläche, ich habe mich da schon möglichst zurückgehalten), mithin der veröffentlichte Text ein wenig eingedampft werden musste, hier ausnahmsweise einmal die Vollfassung direkt aus meinem Manuskript.

Vorher noch der Hinweis: der Text selber ist hier zu finden. Beigefügt ist eine Gallerie, die dem Text den Namen gab, und in der karikierte Personen aus den Asterix-Comics mit ihren Originalen verglichen werden.

Hier nun der unredigierte Text, for better or worse:

310 Millionen verkaufte Exemplare weltweit, ein Drittel davon allein in Deutschland – „Asterix“ ist Massenphänomen und Institution. Bei ihrem ersten Erscheinen vor fünfzig Jahren markierte die Serie allerdings einen Bruch mit Traditionen und revolutionierte die französische Comicwelt – unauffällig.

Gaststars in Gallien

von Stefan Pannor

Genau lässt sich der Geburtstag Asterix‘ heute nicht mehr rekonstruieren. Ein Abend im Juli oder August 1959 soll es gewesen sein. Fünfzig Jahre später erinnert sich Albert Uderzo in seiner Autobiographie nur noch daran, dass es „sehr heiß“ gewesen sein soll.

Der Erzählung nach sassen der Zeichner und sein Texter René Goscinny in Uderzos Sozialbauwohnung in Bobigny, einer Schlafstadt östlich von Paris. Zusammen mit Freunden hatten sie just das Comicmagazin „Pilote“ gegründet. Für das Heft, dessen Erstausgabe im Herbst des Jahres erscheinen sollte, wurde noch eine weitere Comicserie gebraucht. Der ursprüngliche Plan, die Fabeln um „Reineke Fuchs“ umzusetzen (Uderzo liebte Tiere) war daran gescheitert, dass ein ähnliches Projekt bereits bei einem Konkurrenzmagazin lief. Jetzt drängte die Zeit, Ersatz musste her.

Die sich die Köpfe zerbrechenden Goscinny und Uderzo waren zu dieser Zeit bereits ein eingespieltes Team. Zusammen hatten sie ab Beginn der Fünfzigerjahre einige umfangreiche Comicserien realisiert, zu deren heute noch bekanntesten die Indianerserie „Umpah-Pah“ zählt. Wirklich bekannt waren die beiden aber nicht.

Dafür steckten sie bis zum Hals in Arbeit. 1959 zeichnete Uderzo neben „Umpah-Pah“ noch die realistische Fliegerserie „Mick Tanguy“ und eben jenen „Asterix“, der in dieser Nacht geplant wurde. Zu Stoßzeiten betrug sein Arbeitspensum unglaubliche fünf Comicseiten pro Woche in zwei verschiedenen Stilen, witzig und realistisch. Goscinny dagegen textete unermüdlich neue „Lucky Luke“-Abenteuer für den Zeichner Morris, schrieb die Schulhofabenteuer um den „kleinen Nick“ und leitete die junge Redaktion von „Pilote“.

Uderzo erinnert sich, wie die beiden Kreativen damals „reichlich Pastis“ tranken und „wahnsinnig viel rauchten“. Brainstorming unter Zeitdruck: Schritt für Schritt sollen sie die französischen Epochen auf der Suche nach etwas Brauchbarem durchgegangen sein, was es im Comic bis dahin noch nicht gab. Bis sie bei den Galliern und der römischen Besatzung in vorchristlicher Zeit landeten.
Für den Comic war das Thema neu, für dessen Macher nicht. Uderzo hatte die deutsche Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg am eigenen Leib erlebt. Der Pariser Jude Goscinny wuchs zu dieser Zeit in Buenos Aires auf, verlor aber natürlich Verwandte im Holocaust. Damit, wie die konzipierten Gallier auf verlorenem Posten zu stehen, kannten sie sich aus.

Als Ausgangspunkt der Abenteuer wurde die Küste der Bretagne gewählt. Weil Uderzo die Gegend vertraut war, er sie darum gut zeichnen konnte. Und weil Goscinny einen Handlungsort am Meer brauchte, so dass er seine Figuren leichter auf Reisen schicken konnte.

Nicht in allem waren sich die Künstler so einig. Uderzo wollte einen Titelheld, wie er im damaligen Comic angesagt war. Groß, adrett, charmant. Hergé, der Gottvater des europäischen Comics, hatte dieses Muster ab den Dreissigerjahren mit seinem Reporter Tim („Tim & Struppi“) vorgegeben. Auch der Hotelpage „Spirou“ war danach gestaltet, genau wie der junge Privatdetektiv „Jeff Jordan“.
Goscinny aber drängte in eine ganz andere Richtung. Er wollte ein kleines Männlein, kaum klassisch heldisch zu nennen, mit markantem, vollkommen unmodischem Bart. Seinen Namen erhielt der kämpferische Gnom nach dem unauffälligsten aller Schriftzeichen, dem Asterisk*. Dennoch war er mehr als eine Fußnote: „Asterix verkörpert auf listige Art alle Tugenden ‚unserer gallischen Vorfahren’“, stand im Editorial der ersten „Pilote“-Ausgabe zu lesen. Ein erstaunliches Einfühlungsvermögen: Uderzos Eltern stammten aus Italien, Goscinnys aus Polen.

Goscinny hatte zur Bedingung gemacht, dass es keinen Hund a la Struppi als lustigen Begleiter des Helden geben solle. Hinterrücks führte Uderzo diesen fünf Jahre später dennoch ein. Beharrlich zeichnete er das Hündchen Idefix im Album „Tour de France“ in jede Seite. Bis Goscinny kapitulierte – auch weil die Leser die Figur mochten.

Aber so weit war man in jener Nacht noch nicht. Deren Produkt der Überlegungen und Entwürfe erschien erstmals am 29. Oktober 1959, heute offizieller Geburtstag von „Asterix“. Zwei Seiten dauerte der erste Auftritt, die ersten zwei Seiten der Geschichte „Asterix der Gallier“.

Rückblickend sieht man den Seiten den Zeitdruck an. Nicht nur wirken die Figuren noch sehr ungelenk. Deutlich mangelt es an detailreichen Hintergründen, die später zum Markenzeichen der Serie werden sollten. Klar wird auch, dass Uderzo noch nicht warm war mit dem Titel, dem es an dem von ihm präferierten Heldentypus mangelte. Im Vergleich zu den zeitgleich entstandenen Comics „Umpah-Pah“ und „Mick Tanguy“mit ihren großen, stämmigen Hauptfiguren fällt „Asterix“ deutlich ab.

Dass der Zeichner erst in die Serie hinein wachsen mußte, erwies sich als Glücksfall. Eine kurze Zeit lang flog „Asterix“ deutlich unter dem Radar von Lesern und Kritik. Das ließ Goscinny Zeit, seine subversiven Strategien auszubauen und zu verfeinern. Denn natürlich war „Asterix“ nie ein Historiencomic. Schon die Entscheidung, nur fünfzehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg einen Comic über ein besetztes Frankreich zu machen, war ein hochaktuelles Politikum. Mit der dritten Geschichte, „Asterix & die Goten“, reizte Goscinny erstmals das politische Potential bis zum Äußersten aus. Die Erzählung handelte von der Teilung Ost- und Westdeutschlands.

Neben der Politik spielte der Alltag eine große Rolle. Immer wieder begegnen Asterix und Obelix auf ihren Reisen ganz neuzeitlichen Phänomenen wie Straßenbau und Staus und Streiks, der furchtbar lauten Beatmusik (in „Asterix und die Normannen“) oder dem Problem des Doping („Asterix bei den olympischen Spielen“). Das Album „Die Trabantenstadt“ schildert eine moderne Neubauschlafburg, ganz ähnlich Bobignys, in dem die „Asterix“-Abenteuer erdacht wurden.

Auch zeichnerisch durchbrach die Serie an jeder nur möglichen Stelle die Grenze von der Historie zur Gegenwart. Bereits im zweiten Band, „Die goldene Sichel“ (in der etwas wirren deutschen Zählung ist er Nummer fünf) tauchte die erste jener vielen Karikaturen, die eines der Markenzeichen für die Serie werden sollten. Der Präfekt der Stadt Lutetia, Gracchus Überdrus, trug klar erkennbar die Züge des Schauspielers Charles Laughton.

Ab da hatte sich Uderzo warmgezeichnet. Mehrere Dutzend bekannte Gesichter kamen in den Folgejahren hinzu, sowohl fast ausschließlich in Frankreich Prominente (wie der Schauspieler Bernard Blier) als auch internationale Stars. Hollywood bot Uderzos Stift überreichen Fundus: Laurel & Hardy, Kirk Douglas und Sean Connery traten auf. Etwas versteckter die Anspielungen auf Politiker. Ob hinter dem breiten Bart des britischen Häuptlings Sebigbos aus „Asterix bei den Briten“ wirklich Winston Churchill steckt, darüber mag man streiten. Höhepunkt des Versteckspiels: der „Auftritt“ von Jaques Chirac als Lautmalerei in dem Album „Asterix und Latraviata. „Tschack Tschirack“ macht es, als Obelix die Römer verhaut.

Vor Eigenkarikaturen machen die Künstler ebenfalls nicht halt. Vier Mal taucht Rene Goscinny in versteckter Form in den Abenteuern auf. Als Wandrelief, als Forumszuschauer, Legionär und jüdischer Händlersgehilfe Saul Nizahle. Sehr direkter war Uderzo zuletzt beim Selbstportrait. In der Geschichte „Asterix & Obelix feiern Geburtstag“, dem jüngsten Abenteuer, tritt er in direkten Kontakt mit seinen Figuren.

All diese Referentialität und Selbstreferentialität, der geschliffene Witz von Goscinnys Wortspielen, gepaart mit der überaus sympathischen Figurenzeichnung und die karikaturistische Lust Uderzos machten „Asterix“ in Frankreich zum Erfolg. Das erste Album hatte noch die bescheidene Startauflage von 6.000 Exemplaren und lief schleppend. Mit dem achten Album durchbrach die Serie 1966 die Millionengrenze der Verkäufe innerhalb weniger Tage. Es war die Zeit dafür: in der französischen Umbruchstimmung der sechziger Jahre sprach der vielschichtige, politische und satirische „Asterix“ nicht mehr nur ein kindliches Publikum an, sondern als erster französischer Comic überhaupt massenweise erwachsene Leser.

Dass Comics von Erwachsenen gelesen werden, ist in Frankreich heute Normalität. Es ist das Ergebnis jener heißen Nacht in Bobigny und massgeblich „Asterix“ zu verdanken, der das Medium Comic auf unnachahmlich witzige Art hat reifen lassen. Und das trotz Obelix‘ fester Überzeugung (in dem Album „Der Seher“): „Kein Mensch hat uns je gelesen, und uns wird auch keiner lesen!!!“

*Mit dem man sonst nur Fußnoten anmerkt.

Sebigbos

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Bild:(c) Editions Albert Rene/ Egmont

Text: (c) Stefan Pannor

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