Da hat’s mich beim Schreiben des Textes (und eben grade beim Schreiben der Überschrift) immer in den Fingern gejuckt, Autorin und Titel auszutauschen und zu schauen, ob es jemand bemerkt.

Posy Simmonds
Tamara Drewe

Böse gesagt: es geht um den Abschied von Knollennasen. Die ihre hat sich die Titelfigur dieses Comics wegoperieren lassen, und seitdem ist sie nach ihrer Rückkehr aufs Land die herausragende Beauty-Queen zwischen all den Landpomeranzen. Tamara Drewe, die junge Kolumnistin, setzt mit ihrer neu gewonnenen Schönheit, mehr noch aber mit ihrer Naivität einen Reigen aus Sehnsucht, Verzweiflung, Ehebruch und schließlich Tod in Gang.

So radikal, wie sich die Titelfigur von einem der vermeintlichen Markenzeichen des Comics, dem Nasenknubbel, löst, entfernt sich Posy Simmonds auch von den scheinbar vorgeschriebenen Strukturen des Comic an sich. „Tamara Drewe“ ist ein Hybrid aus Bildgeschichte und Roman, wobei Simmonds auch ausführlich von der Collage Gebrauch macht: neben den ineinander verschachtelten Erzähltexten und Comicpanels enthält der Band auch jene fiktiven Kolumnen und weitere Zeitungsausrisse.

Das ist natürlich nicht neu…

… Schon in den Siebzigerjahren hat Dave Sim in seinem „Cerebus“ ausgiebig mit der Verschmelzung von Roman und Comic experimentiert. In den vergangenen Jahren waren es Bücher wie „Ich war das Kind von Holocaust-Überlebenden“ oder Thomas von Steinaeckers „Geister“ und eine Handvoll weiterer Titel, das literarische Experiment der Medienverschmelzung wagten.

Was Posy Simmonds beim Verschmelzen der Formen wagt, wäre also nicht halb so aufregend, wäre ihr Sittenbild vom Lande nicht so bestechend unprätentiös und von ironischen Brechungen durchzogen. Schon auf dem Cover konterkariert sie das schöne Antlitz der Tamara Drewe mit zwei kopulierenden Schafen. Und in Folge erzählt die britische Karikaturistin, wovon sie ganz sicher Ahnung hat, von mehr oder weniger erfolgreichen Autoren und von ganz normalen Menschen, die sich in einem Netz unausgesprochener Begierden verfangen.

Posy Simmonds schreibt und zeichnet eine Satire, bei der ihr die erwachsenen Figuren des Buches bewußt niemals wirklich sympathisch geraten. Weder der selbstverliebte Bestsellerschreiber noch dessen alles erduldende Ehefrau, nicht der rückgratlose amerikanische Literat und erst recht nicht die mit ihrer eitlen Naivität sämtliche Ereignisse des Buches in Gang setzende Titelfigur. Und in deren sanftem Kontrast dazu die Dorfbewohner stehen. Allen voran jene zwei Teenager-Mädchen, die das Verhalten der literarischen Avantgarde so erstaunt wie begierig beobachten, vor dem Hintergrund der nüchtern-romantischen Landschaft des (mutmaßlich) englischen Südwesten, die von Simmonds in wunderschönen Detailaufnahmen eingefangen wird.

„Tamara Drewe“ ist ein komisches Drama, auch wenn sich die Komik hinter der Dramatik oft erst auf den zweiten Blick offenbart, und als solches ist es ebenso dicht wie von einer nüchternen Elegie, ein wunderschönes Buch, und man kann sagen: mit Knollennase hätte es nicht funktioniert. (stefan pannor)

Reprodukt, 136 S.; € 20,00

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