Pünktlich zur Leipziger Buchmesse präsentiert Tokyopop einen Band mit Erzählungen zu dem Land, das auf der Frankfurter Buchmesse des letzten Jahres Thema war. Verwirrend? Aber so steht es geschrieben.

Diverse
China Girls

China zählt zu den aus hiesiger Perspektive weißen Flecken der Comiclandschaft. Erst seit dem Erlanger Comicsalon 2008 gibt es überhaupt zaghafte Versuche, chinesische Comics nach Deutschland zu importieren. Insbesondere Tokyopo erweist sich hier mit diversen Publikationen als rührig.

Dahinter steckt sehr sicher auch der Wunsch, eine dem Manga-Boom der späten Neunzigerjahre vergleichbare Welle loszutreten. Entsprechend ähnelt sich der Ablauf der Ereignisse: begonnen wurde mit vor allem grafisch gefälligen, mainstream-orientierten Erzählungen, die wenig bis nichts über den Alltag im Land erzählen und dem Medium Comic keine neuen Impulse geben.

Die Anthologie „China Girls“ steht nun an einer Schwelle zu einem möglichen zweiten Schritt, in dem chinesische Comics individueller und mit einer größeren inhaltlichen Bandbreite präsentiert werden könnten – sofern die Verlage sich das trauen. Der Band sammelt zwölf Kurzgeschichten chinesischer Künstlerinnen, allesamt (zum Teil noch weit) unter Dreissig und außerhalb Asiens fast alle unveröffentlicht. Die Originalzusammenstellung der Geschichten erfolgte in Frankreich. Dass man dort allgemein ein offeneres Verhältnis zum Comic pflegt, erklärt die grafische Bandbreite der Erzählungen.

Die reicht in der Tat von der Adaption chinesischer Sagen im Stil klassischer Seidenmalerei bis zum Hochglanz-Manga, von obskuren kitschgetränkten Romanzen bis zu selbstironischen Erzählungen über das eigene Aufwachsen – und damit weit über das hinaus, was in den einzelnen Pulikationen chinesischer Comicerzähler hierzulande bisher zu sehen war. Es ist auf den ersten Blick genau die Bandbreite, die man im Westen von Comics gewöhnt ist. „China Girls“ signalisiert also zuallererst, daß das Land auch auf diesem Gebiet aufgeholt hat.

Auf den zweiten Blick erweist sich das freilich als Mogelpackung. Mit wenigen Ausnahmen klammern die Erzählungen den chinesischen Alltag aus. Wo er dann doch hinein spielt, handeln die Geschichten von einer Verwestlichung der Welt, von Simpsons-Postern an den Wänden, von Handys und Cocktails. Darüber hinaus handeln viele der Erzählungen in einer idealisierten Traumwelt, in hollywoodesken Upper-Class-Sphären oder weichen in das Reich der Märchen und Sagen aus. Nur die vorletzte Erzählung im Band beschäftigt sich explizit mit dem neuen China, eine weitere Geschichte handelt immerhin noch vom Leben einer Chinesin im Westen.

Es fehlt dem Band an Erdung. Nicht nur bei der Auswahl der Themen, sondern auch bei deren Darstellung, die oft holprig und nahezu immer pathetisch, fast kitschig ist. „China Girls“ ist in Inhalt und Form fast durchgehend Ausdruck reinen Eskapismus und einer gewissen Unbeholfenheit mit dem Medium Comic. Das mag der Herkunft der Geschichten aus einer Dikatur zuzurechnen sein, oder der Herkunft ihrer Erzählerinnen daselbst oder ihrer Jugend. Fraglos spiegeln einige der Episoden dabei Wunschvorstellungen und Idealbilder der jungen Frauen wieder und haben so in Gestus und Tonfall ihre Existenzberechtigung.

Damit fügen sie sich immerhin ideal in einen ganz anderen Trend ein, den der in Deutschland nach japanischem Vorbild produzierten Mangas. Auch diese Geschichten handeln nahezu ausschließlich von idealisierten Traumwelten, auch sie werden fast ausschließlich von Frauen unter Dreissig gestaltet, auch sie erzählen in der Regel nichts über das Land, aus dem sie stammen. Die Ähnlichkeit der Modelle verblüfft – aber sie enttäuscht auch.

Für die Erkundung eines ernstzunehmenden chinesischen Comic – wie er fraglos existiert – kann „Cina Girls“ darum nur ein Anfang bleiben. Der Band zeigt die mögliche Vielfalt der chinesischen Comics auf. Bis auf sehr wenige Ausnahmen bleibt er allerdings die im Vorwort versprochene Diskussion von „Themen […], die sonst in der Gesellschaft kaum dikutiert werden“, schuldig zugunsten eines reinen, phantasievoll-bunten und gelegentlich sehr schönen, aber rein eskapistischen Augenzuckers. (stefan pannor)

Tokyopop, 192 S.; €19,95

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