Don’t ask, don’t tell: Über Jahrzehnte waren schwule Superhelden höchstens Randerscheinungen, über die eher verschämt erzählt wurde. Innerhalb nur eines halben Jahres hat sich das allerdings drastisch gewandelt.

Im Juli 2011 war die Welt noch einfach. Ob von DC Comics, Verlag von Figuren wie Superman und Batman, homosexuelle Superhelden zu erwarten seien, fragte da das US-Schwulenmagazin „Advocate“. Dan Didio, Co-Publisher des Verlages, wand sich diplomatisch heraus: wenn das der Fall sein sollte, würde man auf jeden Fall eine neue Figur kreieren, statt die Sexualität eines bestehenden Helden zu ändern.

Nicht einmal ein Jahr später ist diese Aussage Makulatur.

Green Lantern ist, wie vergangene Woche bekannt wurde, DC-Comics neuester schwuler Superheld. 2011 wurde die Figur verfilmt. Ryan Reynolds spielte den Testpiloten Hal Jordan, der mit seinem grünen Kraftring für Ordnung im Universum sorgt.

Nicht Hal Jordan allerdings ist es, der jetzt homosexuell wird. Sondern die Figur des Alan Scott, eine bereits 1940 entwickelte frühe Fassung des Green-Lantern-Helden. Der war seit Jahrzehnten vor allem für Gastauftritte gut, aber nicht für eine eigene Serie. Bekannt war er nur noch eingefleischten Fans.

Für den Wandel wurde die Figur entstaubt und – eigentlich handelt es sich um einen gestandenen Herren über Sechzig – drastisch verjüngt.

Nichtsdestotrotz wurde die Geschichte über Tage vorher angekündigt, nachdem Dan Didio bereits Mitte Mai bei einem öffentlichen Auftritt entschlüpft war, dass ein DC-Held seine sexuelle Orientierung ändern würde.

Dass es am Ende nur eine Randfigur ist, die eher zufällig einen bekannten Heldennamen trägt, zeigt deutlich den „Ja, aber“-Ansatz, mit dem sich nicht nur DC, sondern aktuell mindestens drei amerikanische Comicverlage einerseits um eine Emanzipation ihrer Figuren bemühen, andererseits ihr Publikum nicht verschrecken wollen.

Warum überhaupt gerade jetzt?

Hintergrund ist vermutlich die Abschaffung der berüchtigten „Don’t ask, don’t tell“-Regel, nach der Bi- und Homosexuelle zwar in den US-Streitkräften Dienst tun konnten, ihre sexuelle Neigung aber möglichst geheim halten sollten, durch Präsident Obama im September 2011. Die Abschaffung traf auf breite gesellschaftliche Zustimmung, Anzeichen einer größeren gesellschaftliche Offenheit gegenüber Homosexualität in den USA.

Seitdem bemühen sich auch amerikanische Comicverlage um ein schwulenfreundlicheres Antlitz. Vorreiter war ausgerechnet der Verleger der „Archie“-Comics. Dabei handelt es sich um eine seit 1939 ununterbrochen erscheinende Palette vorrangig harmloser humoristischer Teenagercomics.

Aufgrund ihres anhaltenden generationenübergreifenden Erfolges haben sie in den USA einen ähnlich populären Status wie hierzulande die Donald-Duck-Comics. Monatlich werden mehr als eine halbe Million „Archie“-Comics verkauft.

Bereits im September 2010 führte der Verlag die Figur des schwulen High-School-Absolventen Kevin Keller in die „Archie-“-Comics ein. Zu dem Zeitpunkt war die gesellschaftliche Debatte um die Abschaffung von „Don’t ask, don’t tell“ bereits in vollem Gange.

Keller ist nicht nur Soldatensohn, sondern schreibt sich in den Comics bei erster Gelegenheit in die Arme ein. Im Januar 2012 konnte er seinen Freund Clay heiraten – die erste Schwulen-Ehe in einem amerikanischen Comicheft überhaupt.

Dass Marvel Comics Mitte Mai eine Schwulen-Ehe innerhalb ihrer „X-Men“-Serie ankündigten, wirkt wie ein Abklatsch der Keller-Story – und ist es vermutlich auch. „Astonishing X-Men“ #51, Erscheinungstermin 27. Juli 2012, soll die Hochzeit des Mutanten Northstar mit seinem Manager Kyle Jinadu erzählen.

Die in den späten Siebzigerjahren von Comicautor John Byrne geschaffene Figur des Northstar gilt als erster schwuler Superheld überhaupt. Verlagspolitik verhinderte jedoch mehr als zehn Jahre lang, dass das in den Comics offen angesprochen werden konnte. Erst 1992 durfte die Figur sich outen.

Allerdings spielt Northstar ebenso wie „Green Lantern“-Alan Scott eine eher beiläufige Rolle in den Comicheften. Der einzige Titel mit seinem Namen auf dem Cover war eine vierteilige Miniserie von 1994.

Wieso keine wirklich wichtigen Figuren?

Noch in der April-Ausgabe des „Playboy“hatte der „Batman“-Comicautor Grant Morrison unbekümmert erzählt, dass die Figur des Fledermausrächers zwar heterosexuell angelegt sei, dem ganzen Konzept nach aber unverkennbar schwul. Mit seinen Äußerungen hatte er weltweit Schlagzeilen gemacht.

Dass nun dennoch nur Figuren aus der dritten Liga für die neue sexuelle Offenheit der amerikanischen Comicverlage eintreten müssen, ist deutliches Zeichen für fehlenden Mut der Verlage. Anders als ein schwuler Batman lassen sich Northstar und Alan Scott schnell wieder in den Hintergrund des gewaltigen Figurenarsenals der Verlage schieben, sollten ihre Geschichten nicht beim Publikum ankommen.

Denn es heisst Rücksicht auf die Leser zu nehmen. Während „Archie“ ein traditioneller Familiencomic mit einer weit diversifizierten Leserschaft ist, werden die Superheldenhefte von Marvel und DC vor allem von heterosexuellen Männern über Dreissig gelesen.

Diese nahmen bereits Morrisons Äußerungen über einen schwulen Batman oft mit Unbehagen auf. Superheldencomics sind traditionell Orte heterosexuell-männlicher Wunscherfüllungsfantasien, mit hyperpotenten männlichen Helden und oft mehr als aufreizend bekleideten und anatomisch aufsehenerregenden weiblichen Figuren.

Eine zu starkes Eindringen homosexuellen Alltags in diese Traumwelt könnte also das Kernpublikum verschrecken – und das will angesichts des seit Jahrzehnten schrumpfenden amerikanischen Comicmarktes, der gerade erst 2010 eines der schlimmsten Jahre überhaupt erlebte, wohl niemand.

Und dann ist da der Druck der konservativen Interessensgruppen.

Bereits als Kevin Kellers Hochzeitscomic im Januar erschien, rief die Gruppierung One Million Moms, ein Ableger der erzkonservativen christlichen American Family Association, zum Boycott von Toys’R’Us auf. Neben Spielzeug führt die Kette in den USA auch die „Archie“-Comics.

Ohne Erfolg allerdings. Toys’R’Us behielt die Hefte im Angebot. Der Comic war trotz drastisch erhöhter Auflage innerhalb weniger Tage vergriffen.

Ein weiterer Protestaufruf der One Million Moms könnte bereits im Keim erstickt worden sein. „Warnung: DC Comics kündigt an, dass Green Lantern schwul ist“, hiess es noch am Freitag auf deren Facebookseite. Damit verbunden war ein Aufruf an die Anhänger, DC und Marvel anzumailen, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Über hundert Facebook-User innerhalb weniger Minuten fühlten sich allerdings gar nicht gewarnt. „Gay Superheroes rules!“ lautete einer der Kommentare, der Tenor der übrigen Kommentatoren gleichklingend. One Million Moms löschte daraufhin nicht nur den Ursprungseintrag. Kurz darauf war ihr gesamter Facebook-Auftritt weg.

Nur via Twitter folgte eine kurze Mitteilung: die Seite sei noch die ganze Woche offline, weil die eine Million Mütter mit außerschulischem Bibel-Unterricht beschäftigt seien.

Unredigierte, ungekürzte Manuskriptfassung des gleichnamigen Artikels auf SPIEGEL-Online.

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  • 2 Responses to “Der Kampf der schwulen Superhelden (Director’s Cut)”

    1. Frank says:

      Vergesst mal Green Lantern, Northstar oder diesen Kevin Keller. Ich empfehle [http://en.wikipedia.org/wiki/X-Factor_%28comics%29#Volume_3_.282005.E2.80.93present.29 X-Factor]! Peter David erzählt da bereits 2009 ganz entspannt von der Beziehung zwischen Shatterstar und Rictor (und Rictor und Rhane, und Rhane und irgendeinem Wolf-Gott, und Jamie „Multiple Man“ Madrox mit allen möglichen Team-Mitgliedern), wofür die Serie 2011 beim GLAAD Media Award als Outstanding Comic Book geehrt wurde. Neben dem ganzen Beziehungstrara gibt es natürlich auch noch Superhelden-Detektiv-Action-Zeitreise-Geschichten. Und viel zu lachen.

    2. Stefan says:

      Oh ja, Peter David!

      Brings mir doch am Freitag zum Comicstammtisch mit. 😉