Nicht dein üblicher Zombie-Comic: Terry Moores „Rachel Rising“ beleuchtet die sehr menschlichen Aspekte einer Toten, die einfach nicht liegenbleiben kann.
Das sind gute Zeiten für Terry-Moore-Fans. Und wenn diese Welt eine gerechte wäre, sollte das jeder sein, der Comics liest.
Aber die Welt [*trübseliges Altherrenseufzen*] ist nicht gerecht. Die ersten nicht ganz dreissig Hefte von Moores Opus Magnum „Strangers in Paradise“ erschienen im letzten Jahrtausend bei Speed auf Deutsch, weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Schon da hätte man merken müssen, was für ein Meister Moore ist. Die kleine Dreiecksgeschichte zwischen zwei Mädels und einem Jungen schlägt nicht nur atemberaubend viele Haken, bis Moore jede denkbare Variation des Dreiecks und noch ein paar mehr ausgelotet hat.
Sie zeigt auch einen formal versierten Meister, der seine Comicgeschichte als Mischung aus Bild- und Romanerzählung aufbereitet, mit selbst bei winzigsten Auftritten voll ausgereiften Nebenfiguren füllt und bei aller Aberwitzigkeit des Geschehens nie vergisst, dass da echte Menschen mit echten Gefühlen agieren.
Kurz: ein Meisterwerk.
Tatsächlich kann man darüber streiten, ob es die formale Aufbereitung in Form von sehr schmalen, teuren Paperbacks war, die dem Erfolg der Serie in Deutschland entgegenstand, oder ob der Markt einfach noch nicht reif dafür war.
Dass, nach mehr als zehn Jahren Pause, Schreiber & Leser vorhat, die gesamte Serie in Form voluminöser Taschenbücher (basierend auf der sechsbändigen amerikanischen Pocket-Book-Ausgabe) zu publizieren, war jedenfalls eine der besten Nachrichten des Comicjahrs 2013.
Mit „Rachel Rising“ legt der Verlag nach, noch während der „Strangers in Paradise“-Brocken läuft (und auch noch, während die Serie in den USA läuft, aktuell ist sie bei Heft 26). Von der Grundanlage her könnten beide Serien verschiedener nicht sein.
„Rachel Rising“ ist im Kern eine suburbane Horrorgeschichte, die Hauptheldin Rachel so tot wie nur irgendwas, läuft aber dennoch herum, trifft alte Freunde. Das Geschehen dreht sich um die Frage, was geschehen ist, wieso eine Tote lebendig wird, wer dafür verantwortlich ist – letztlich auch um die Frage, ob es gut so ist. Wer bekommt schon die Chance zum Abschied von einer verstorbenen Freundin?
Sukzessive zieht Moore die Kreise der Geschichte weiter, lässt das Grauen in Form seltsamer Tode und Morde ungeahnte Dimensionen annehmen.
In mancher Hinsicht läßt sich „Rachel Rising“ als dunkle Seite von „Strangers in Paradise“ lesen. Anders etwa als beim überaus schlachtfesten Horrorcomic „The Walking Dead“, bei dem die Toten als metzelnde Torfköppe rumrennen, steht das Grauen der Ereignisse hier nie im Vordergrund.
Moore inszeniert ein sehr alltägliches Leben nach dem Tod, in dem Sinne, dass seine Figuren fest im Vor- und Kleinstadtleben geerdet sind, ein Leben, einen Alltag und einen Charakter abseits des Grauens haben. Da ist sogar Zeit für Humor, für kleine Flirts, flappsige Streitgespräche, hemmungsloses Rumalbern.
In vielen kleinen Szenen, etwa wenn die tote Rachel mit ihrer besten Freundin auf der Veranda sitzt und über ihre Kindheit redet, wird nicht nur die Tragik des Geschehens verdeutlicht – die Figuren bekommen auch Tiefe und Plastizität, die das folgende Grauen nur umso schlimmer macht.
Und schlimm wird es. Schon im ersten Band gibt es eine Handvoll Leichen. Moore fährt nicht mit angezogener Handbremse. Die Dramaturgie ist rasant, überraschend, schlüssig. Rachel bildet das Epizentrum einer Welle grauenhafter Ereignisse. Trotzdem stehen, wie bei „Strangers in Paradise“ die Figuren und ihr Innenleben im Vordergrund, nicht der Horror.
Grafisch hat Moore seinen Strich verfeinert, ihm aber auch etwas von der Strenge und Klarheit früherer Comics genommen. Wenn die tote Rachel vor flirrend ziselierten Hauswänden optisch nahezu verschwindet, wird die Unfassbarkeit des Geschehens und dieser Figur verdeutlicht, die untot, aber kein tumber Zombie, immer noch der selbe Mensch wie „vorher“ ist.
Terry Moores Comics funktionieren immer auf mehr als einer Ebene. Dieser auch. „Rachel Rising“ ist ohne Frage ein Horrorcomic. Darüber hinaus ein Kleinstadtportrait, und nicht zuletzt das Portrait der Titelfigur unter überaus merkwürdigen Umständen. Dass Moore alle drei Sujets meisterlich beherrscht, runden einen Comic ab, der die Chance hat, ein weiteres Meisterwerk zu werden.
Rachel Rising
Schreiber & Leser, 128 S.; €14,95
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Strangers in Paradise
Schreiber & Leser, 344 S.; €16,95
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