Auch wenn ich eigentlich nahezu immer am Lesen bin – Sonntag ist meist der einzige Tag, an dem ich wirklich dazu komme. Daher die Rubrik Sonntagslektüre mit ein paar (vielen) Worten dazu. Das ganze ist ein Versuch, und ich kann nicht versprechen, diese Rubrik immer (und immer so umfangreich) zu gestalten.

Den Anfang machen an diesem Sonntag:

  • Prinz Eisenherz Gesamtausgabe Bd. 5
  • Warren Ellis: Ruins
  • Gazotti/ Vehlmann: Allein Bd. 3
  • Ernst Vlcek. Die dunklen Jahrhunderte

Hal Foster
Prinz Eisenherz
Gesamtausgabe Band 5: 1945/ 46

Klassische Helden der Unterhaltungsliteratur sind nicht dafür gedacht, Frauen zu haben.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Das ist kein Satz gegen Frauen, sondern einer gegen die Helden. Ein Robin Hood braucht seine Maid Marian – wenn er sie befreien und ihr Herz erobern kann. Winnetou braucht seine Nscho-Tschi (oder wie man das schreibt) – wenn er sie betrauern kann. Und das sind nur zwei spontane Beispiele. Der typisch männliche, sowieso tendentiell prä-adoleszente Held wird durch Frauen und Fleischeslust eher gestört. In der klassischen Abenteuerliteratur sind Frauen nicht mehr als der Horizont – etwas, das man erreichen will, aber nie erreicht. Und wenn man ihn erreicht, ist das Abenteuer aus.

Erstens aus diesem Grund markiert der fünfte Doppeljahrgangsband von Prinz Eisenherz (Bocola, ca. 100 S.; € 19,90) mit den vollständigen Comicseiten der Jahre 1945 und 1946 einen Wandel in der Serie. Eisenherz erobert das Herz der schönen Aleta – und heiratet sie. Ein zweiter Grund: als die Eisenherz-Abenteuer dieses Bandes anhoben (mit einem Ritt durch die nordafrikanische Wüste), rückten die Alliierten gerade auf Deutschland vor. Eisenherz hatte seinen ganz privaten Krieg zweiten Weltkrieg bereits in den Jahren zuvor geschlagen – gegen die Hunnen, Sinnbilder der barbarischen Deutschen, die er mit List und Zivilisation aus England vertrieben hatte.

Dass Comichelden in den Propagandakrieg zogen, war nichts Ungewöhnliches – nahezu alle Abenteuerfiguren in den US-Comics jener Zeit taten das. Und nahezu alle erleben bei Kriegsende einen beispiellosen Absturz: niemand wollte die Comics mehr lesen, sobald die reale äußere Bedrohung wegfiel.

Damit steckte auch die Eisenherz-Serie in der doppelten Zwickmühle: als verheirateter Prinz war Eisenherz das Antibild zum Abenteuerhelden. Und mit dem Sieg über die Hunnen fehlte auch noch die äußere Bedrohung, die dem Familienglück gefährlich werden konnte. (Machen wir uns nichts vor, Wikinger und Sachsen sind einfach kein Ersatz für ein paar ordentliche Hau-drauf-Hunnen.)

Hal Foster löste dieses Problem, indem er es – ignorierte. Und zwar mit einer solchen Naßforschheit, das man ihm selbst heute noch Beifall dafür zollen muss. Wie er Aleta immer wieder Eisenherz aus den verzwicktesten Situationen retten lässt, ohne seinen Helden zur Karikatur seiner selbst werden zu lassen, ist bewundernswert. Wie er selbst harmlose Wald-und-Wiesen-Abenteuer (gegen Wilderer und Sachsen) mit dem Tonfall des Epos auflädt, einfach aufgrund seines pompös-selbstironischen Erzählduktus und den bis ins manische detailreichen Zeichnungen, ist bewundernswert.

Dennoch läßt sich festhalten, dass mit den Abenteuern dieser Bände sich die Stimmung der Serie für immer änderte. Eisenherz‘ Flegeljahre waren vorbei. Der Leser spürt es daran, dass die Geschichten an Tempo verlieren und dafür sanfter, poetischer und, ja, ein Stück weit kitschiger werden. Die Schauplätze wirken weniger exotisch, die Gefahren weniger bedrohlich, die Welt wirkt ein wenig kleiner und heimeliger. Aus den Abenteuern des jugendlichen Prinz Eisenherz waren in diesen zwei Jahren die Abenteuer des erwachsenen Prinz Eisenherz geworden.

Fazit: Unverzichtbar.

Warren Ellis/ Nielsen, Nielsen & Moeller
Ruins

Machen wir uns nichts vor: die Neunzigerjahre könnten aus der Geschichte der Superhelden-Comics entfernt werden, ohne dass all zu viel Wichtiges fehlen würde. Starman von James Robinson, einige der Sachen von Alan Moore … sonst noch was? Die Neunzigerjahre waren für dieses Genre eine Zeit der hilflosen Suche und des verzweifelten Hetzens diversen Trends hinterher, wie sie von Verlagen wie Image gesetzt wurden. (Die meisten dieser Trends hatten mit Blut und Titten zu tun.) Irgendwie wusste keiner so richtig, wie man Superheldencomics publiziert – aber alle taten es in verblüffend großer Stückzahl.

Eines der Ergebnisse dieser Kopflosigkeit ist das 1995 erschienene Ruins – eine zweiteilige Miniserie von Warren Ellis, der damals noch am Anfang seiner Karriere als Autor stand. Die beiden Hefte sollten Kapital schlagen aus Marvels von Kurt Busiek und Alex Ross, das im Vorjahr megaerfolgreich erschienen war. Ruins ist die Antithese zur heilen Strumpfhosenwelt von Busiek & Ross: hier ist alles ganz ganz fürchterlich schiefgelaufen. Helden werden vom Himmel geschossen, gejagt, eingesperrt, verrecken auf grausamste Weise oder schaden der Welt mehr als sie nützen.

Ellis schildert das alles aus der Sicht des Reporters Phil Sheldon, ebenfalls Hauptfigur in Marvels. Auf grade mal 64 Seiten (Marvels hatte 200) erschreibt er ein Pandämonium der Grausamkeiten, Bestialitäten und Widerlichkeiten, eine Hölle aus radioaktiver Strahlung, wildgewordenen Militärs, Mutentenhuren und abgetrennten Gliedmassen. Ein Alptraum.

Und viel mehr nicht. Die aufs äußerste komprimierte Geschichte hetzt durch das bekannte Marvel-Universum, damit auch ja keine der bekannten Figuren in ihrem brutalen Scheitern vergessen wird. Das Tempo ist so absurd, der rote Faden so dünn, dass selbst Sheldon über weite Strecken nicht mehr als eine Nebenfigur ist. Eine, maximal zwei Seiten – mehr wird keiner Figur zugestanden.

Dieser Mangel an Platz für psychologische Erkundung, für Innenleben und Drama, ist die eine große Schwäche der Geschichte. Ellis schreibt keine Charaktere, er schmeisst eine große Namedropping-Bombe auf den Leser. Die andere Schwäche: eigentlich keine Geschichte, nur Grausamkeiten. Der Autor selbst bezeichnet die Geschichte als Komödie – und tatsächlich funktioniert der Comic am besten, wenn man ihn als eine Travestie auf Endzeit- und Heldengeschichten liest. Diese Sichtweise löst die genannten erzählerischen Schwächen der Geschichte jedoch nicht auf.

Die ersten zwei Drittel von Ruins erscheinen in einem gemalten, schmutzig-verwaschenen Artwork, wie es damals gerade in war. Ohne jeden narrativen Grund ist das letzte Drittel dann in einem klassisch klaren Artwork gehalten – ziemlich sicher kamen die Zeichner einfach mit der Deadline nicht zurande. 1995 erschienen die zwei Hefte erstmals und verschwanden dann aus diversen Gründen in der Obskurität. Marvel meldete 1996 Bankrott an und steht heute als erfolgreichster Comicverlag der USA an. Und die zwei Hefte aus jener Zeit wurden justament recht preiswert in einer Ausgabe (80 S.; $ 4,99) gesammelt.

Fazit: Kann man, muss man aber nicht.

Gazotti/ Vehlmann
Allein Bd. 3: Der Haifisch-Clan

Über Allein hatte ich an anderer Stelle schon geschrieben. Was ich damals über diese Endzeitserie einer von Menschen entleerten Welt schrieb, in der lediglich ein paar aus unbekannten Gründen zurückgebliebene Kinder sich auf die Suche nach den Hintergründen der Katastrophe machen, galt damals für den ersten Band und es gilt immer noch für den dritten:

„Die wirkliche Endzeitbedeutung der Geschichte erfasst dieser erste Band der Reihe kaum, das klare Abenteuer und Mystery stehen im Vordergrund. Nur in wenigen Momenten wird die emotionale Bedeutung der Katastrophe für die immerhin eltern- und hilflosen Kids verdeutlicht. Weitere Konsequenzen (Wer füttert die Haustiere? Wer kontrolliert die Kraftwerke?) werde nicht einmal angerissen.“

Diesmal gelangen die Kids zu einem Freizeitpark, der von weiteren hinterbliebenen Kindern bewohnt wird – eine ehemalige Piraten-Wasserspaß-Anlage, über die der elfjährige Saul mit Entertainment und eiserner Hand herrscht. Natürlich geht alles ganz furchtbar schief – die Geschichte ist mit ihrem Piraten- und Insel-Ambiente eine Mischung aus Peter Pan (Saul heisst mit Nachnamen Barrie) und Der Herr der Fliegen, und am Ende spielt der Hai auf dem Cover eine tragende Rolle.

Die Geschichte ist weniger wegen ihrer – auch im dritten Band recht vorhersehbaren – Dramaturgie nennenswert als vielmehr wegen ihrer Zitatlust – neben den genannten Büchern wird ausgerecht noch The Prisoner an markanter Stelle zitiert – und weil es diesmal doch etwas härter zur Sache geht: Themen wie Folter und Sex werden in dem kindlichen Ambiente recht deutlich angesprochen. Dass der ausgerechnet den jüdischen Vornamen Saul tragende Oberherrscher der Kinderbande mit seinen psychotisch-sexuellen Anwandlungen ein Fan Adolf Hitlers ist („Das ist ein Abschnitt der Geschichte, der mich begeistert.“) befremdet allerdings ebenso wie diverse Rollenklischees der Hauptfiguren.

Das alles zusammen sorgt immerhin für einen deutlich bedrohlicheren Unterton, die Geschichte ist zwar immer noch klischeehaft, bekommt aber wenigstens ein bißchen Atmosphäre. (Piredda Verlag, 48 S.; € 13,00)

Fazit: Kann man.

Ernst Vlcek
Die dunklen Jahrhunderte

(Perry-Rhodan-Planetenroman 318)

1988 erreichte die Perry Rhodan-Serie den Moment größtmöglicher Annäherung an die reale Politik: Perry Rhodan verschlief siebenhundert Jahre in Stasis, und als er aufwachte, war die Milchstrasse von einem Wall umgeben, der keinen hinein- und herausließ. Darinnen herrschte ein eisernes Regime von Technobürokraten mit Lüge, Propaganda und militärischer Macht. Und während ab 1989 diverse Grenzen und schließlich der gesamte Eiserne Vorgang einkrachte, hämmerten Perry und seine Gefährten am Wall der Milchstrasse.

Die dunklen Jahrhunderte ist so eine Art eingeschobener Erläuterung zu den Ereignissen in der Heftserie. Die Geschichte eines ehemaligen Medo-Raumers (also so eine Art Weltraumkrankenwagen), der über sieben Jahrhunderte in der Milchstrasse immer neuen Zwecken zugeführt wird. Vom Genre her erfüllt das Bändchen die Kriterien der Anti-Utopie: alles wird immer schlimmer, und der Leser, der die Ereignisse der Rhodan-Serie kennt, weiss das auch von Anfang an.

Vlcek schildert die siebenhundert Jahre in Form von sieben Einzelepisoden. Die Geschichten – von Widerständlern, Getäuschten, Freigelassenen und Politikern – sind nicht direkt untereinander verknüpft, lediglich der Raumer dient als Verbindung. Es sind keine großen Abenteuer, größtenteils stehen alltägliche Menschen im Zentrum der Ereignisse. Auch auf Action verzichtet Vlcek praktisch komplett. Die Geschichten werden einzig durch die dramatischen Ereignisse (ein Happy-end gibt es in den Mini-Anti-Utopien natürlich nicht) und die übergreifende Vorstellung, dass alles immer schlimmer wird, getragen.

Natürlich ist es keine echte Anti-Utopie. Am Ende des Bandes steht ein Hoffnungsschimmer, muss er stehen: denn schließlich wird Perry Rhodan eines Tages siegen. Das ist das Grund-Credo der Rhodan-Serie. Tatsächlich riss Rhodan den Wall um die Milchstrasse fast zeitgleich zum Fall der Mauer ein. Das freilich waren Ereignisse, die selbst zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Bandes noch in der Zukunft standen. Selbstverständlich ist Die dunklen Jahrhunderte nur noch antiquarisch erhältlich.

Fazit: Lesbar.

3 Responses to “Sonntagslektüre (1)”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » War sonst noch was? - Die Gifticks, Hero Squared says:

    […] zu Mirko Pireddas Comics hier, hier, hier und hier. Eine Leseprobe zu den Gifticks auf der Seite des Verlages. Giffen/ DeMatteis/ […]

  2. Stefan Pannor » Blog Archive » Die Seelenlandschaften des Herrn Ritter Roland says:

    […] Prinz Eisenherz […]

  3. Stefan Pannor » Blog Archive » 4 auf 1: Das große Anfangen vom Ende says:

    […] PRINZ EISENHERZ Gesamtausgabe Band 5 […]