Es ist leicht, die „Peanuts“ als längste gezeichnete Depression der Welt zu lesen. Fast immer handeln die Kurzcomics von etwas, das nicht ist: keine Liebe, keine Freundschaft, kein Erfolg, keine Anerkennung. Wenn also „Das große Peanuts-Buch“ die Geschichte des Strips aufarbeitet, dann ist das keine fröhliche Angelegenheit – oder?

Charlie Brown, das war der, der von sich sagte, dass sogar seine Ängste noch Ängste haben. Der schon als Kind festhielt, dass er auch immer sein Lebtag Spaß haben wollte (aber nie hatte). Der nie den Ball traf und dessen Drachen immer vom Baum gefressen wurde. Charlie Brown, das war Leid in Kugelkopfform.

Aber nicht nur Charlie Brown ist von diesem Syndrom betroffen. Auch Lucy hat es in 50 Jahren nie geschafft, die romantische Aufmerksamkeit von Schroeder an seinem Klavier zu erlangen. Peppermint Patty hatte durchgängig schlechte Noten. Und Linus, dessen Abhängigkeit von seiner Schmusedecke ein Thema für sich ist, hat trotz unermüdlichen Ausharrens zu Halloween im Kürbisacker nie den Großen Kürbis gesehen, seine ganz private weihnachtsmannähnliche Erlöserfigur.

So und ähnlich ging das 50 Jahre lang, mehr als 18.000 Folgen. Die „Peanuts“, das ist zugleich der erfolgreichste Comicstrip der Welt und eine lange, deprimierende Geschichte des Scheiterns.

Dieses „Peanuts“-Paradoxon dröselt das vorliegende Buch hervorragend auf. Don’t judge a book by it’s cover! Hinter dem irritierend häßlichen 80er-Jahre-Glitzercover-Design verbergen sich nicht nur umfangreiche Kommentaren von Andreas Knigge, die einen hervorragenden, kenntnis- und geistreichen Überblick über die Geschichte des Strips, seines Machers und seiner Themen bieten. Sondern auch rund 800 Comics aus allen Phasen und zu sämtlichen Themen des Strips, nach Dekaden geordnet.

Und es ist eben nicht nur der unermüdliche Verlierer Charles Brown, der den Strip trägt, wie Andreas Knigge richtig festhält. Es ist auch Snoopy, der ab den späten Sechzigerjahren permanent (als weltberühmtes Flieger-Ass, als Joe Cool, als unerschrockener Pfadfinder) aus dieser eben wirklich ziemlich traurigen Realität mit dem kleinen dicken Jungen ausbricht. Und Woodstock, der hilflose, aber unendlich liebenswerte Vogel unbestimmter Art, dessen piepsige Kommentare stets unverständlich, aber vollkommen einleuchtend sind.

Bemerkenswert und letztlich aufmunternd an den Strips ist der Stoizismus, mit denen die Figuren ihr Leid tragen. Humor entsteht durch Fallhöhe zwischen dem, was man erwartet, und dem, was man bekommt. Die Fallhöhe in den „Peanuts“ ist nicht die, wie der Leser sich als hämischer Betrachter über die unendlichen Neurosen von Schulz‘ Figuren erhebt.

Sondern wie die Figuren sich über ihr eigenes Leid erheben, sich in Kunst (Schroeder), Religion (Linus), naiven Optimismus (Sally) oder stures andauerndes Anrennen gegen die mißliebigen Umstände (Charlie Brown) als Ausweg stürzen. Charlie Brown weiss, dass der Baum seinen Drachen fressen wird – aber das ist kein Grund, es nicht zu versuchen.

Genau darum sind Die „Peanuts“, trotz ihrer oftmals ernüchternden Kommentare zur menschlichen Natur, ihren verblüffend wenigen direkt optimistischen Momenten und ihres bis aufs Äußerste reduzierten, gelegentlich fast kühlen Strichs, keine depressive Lektüre, sondern unendlich erheiternd, poetisch und aufmunternd.

Charles M. Schulz/ Andreas C. Knigge: Das große Peanuts-Buch
Carlsen Comics, 360 Seiten, € 29,95

Verfasst im Herbst letzten Jahres für die Comic Combo Leipzig.

One Response to “Aktuelle Comicrezension (165): Das große Peanuts-Buch”

  1. DMJ says:

    Oh mein Gott…gerade eben hatte ich die Erleuchtung: Charlie Brown auf seinem Baseball-Hügel ist Sisyphos. – Aber ich weiß nicht, ob Camus einen Weg fände, sich auch ihn als glücklichen Menschen vorzustellen.