Ungekürzte Fassung eines Artikels für SPIEGEL-Online. Die veröffentlichte Fassung steht hier.

Jüdische Künstler haben vor allem den amerikanischen Comic entscheidend geprägt. Auf sie geht die Erfindung des Superhelden-Genres zurück, ebenso wie die moderne Graphic Novel. Eine Ausstellung in Berlin beschäftigt sich mit dem maßgeblichen Einfluß

Jüdische Comics
David oder Goliath sein

von Stefan Pannor

Wie viel Wut in einem harmlosen Bild stecken kann. Finsteren Blickes hebt Superman das Auto hoch und schleudert es gegen einen Felsen. Der Himmel wetterleuchtet gelb und dunkelrot, Menschen rennen schreiend davon.

Action Comics #1Was haben sich die Künstler nur dabei gedacht? Das Bild, es ist das Cover von „Action Comics“ #1, dem allerersten Auftritt von Superman, ist bis heute eines der energiegeladensten, eindringlichsten Bilder, die im Comic geschaffen wurden, verkleidet im Gewand trivialer Kinderunterhaltung.

Eine dunkle Vorahnung des Kommenden liegt über dem Bild. Im Sommer 1938, als dieser Comic erschien, waren Repressalien gegen Juden im Deutschen Reich bereits an der Tagesordnung. Möglicherweise bewußt, wahrscheinlicher aber unbewußt verarbeiteten die Juden Jerry Siegel und Joe Shuster, die Erfinder von Superman, mit der erschreckend leeren, von apokalyptischen Symbolfarben getragenen Szenerie dieses Covers mit dem wütenden, golemhaften entfesselten Zerstörer in der Mitte die Nachrichten aus Europa.

Die Geschichte des amerikanischen Comic ist wie keine andere von jüdischem Einfluss geprägt. Der Entwicklung, aber auch der Frage, was das eigentlich für den Comic an sich bedeutet, geht die aktuelle Ausstellung „Helden, Freaks & Superrabbis“ im Jüdischen Museum Berlin nach. Auf 500 Quadratmetern und mit über 400 Exponaten, darunter vielen Originalen, skizziert sie den Einfluss jüdischer Künstler auf das Genre der Comics, Comicstrips und Graphic Novels.

Natürlich fallen hier die Superheldenzeichner als erstes ins Auge, schon wegen ihrer knalligen Bilder. Nicht nur Siegel & Shuster. Jack Kirby, Joe Simon, Will Eisner sind weitere Namen jüdischer Künstler, die ab den Dreissigerjahren in der Industrie der amerikanischen „comic books“, der Comichefte, arbeiteten.

Deren Comics von unbezwingbaren Helden waren zu Beginn verklausulierte, später immer offener werdende Aufschreie gegen die Vorgänge in Europa, erstmals kulminierend in dem berühmten Cover von „Captain America“ #1 (1939), in dem der amerikanische Kämpfer mit dem blauweißen Flaggen-Dress Hitler mit blanker Faust niederstreckt.

Aber damit fing es natürlich nicht an. Bereits vor den Superhelden konnte der amerikanische Comic auf eine reiche, mehr als vierzigjährige Tradition zurück blicken. Die Präsentation von Strips wie „Abbie the Agent“ von Harry Herschfield, der ab 1914 erschien, sind großartige Entdeckungen einer heute fast vergessenen Tradition, die man sonst praktisch nicht mehr zu sehen bekommt.

Oder wer hätte je hierzulande von Samuel Zagat gehört, der seine Comics ausschließlich in einer jiddischen Tageszeitung publizierte und ganz in hebräischer Lesart, also von links nach rechts? Die Comics beider Künstler handelten von den Versuchen verschiedener Figuren, als Einwanderer in Amerika zurecht zu kommen – Comics als Integrationsmaßnahme.

Nicht nur die Tatsache, dass diese Künstler in der Regel in schwarz-weiß und in den Tageszeitungen publizierten, unterscheidet sie von den nach ihnen kommenden Superhelden-Zeichnern. Offener als über Jahrzehnte hinaus nahezu alle anderen Comiczeichner brachten sie in ihren erzählerischen Vignetten jüdischen Alltag zum Ausdruck, in einem bodenständigen Realismus.

Art Spiegelman - Seite 1 des Erst Will Eisner, der die Strips als Jugendlicher noch gelesen haben dürfte, nahm diesen Faden rund ein halbes Jahrhundert später wieder auf. Seine Erzählungen aus dem New York der Dreissigerjahre, beginnend mit „Ein Vertrag mit Gott“ (1978), schilderten jüdischen Alltag, wenn auch nicht so burlesk wie etwa Herschfield, und waren maßgebend bei der Literarisierung des Comics, die schließlich zur modernen Form der Graphic Novel führte.

Die chronologische Darstellungsweise der Ausstellung verhindert hier leider das Ziehen von Querverbindungen. Eigentlich müsste die Exhibition an dieser Stelle sich in zwei Stränge spalten. Einerseits der realistische, sich vom frühen Comicstrip herleitende jüdische Comic a la Eisner, der schließlich in Büchern wie Art Spiegelmans Holocaust-Erzählung „Maus“ gipfelte und in denen die Künstler ihre eigene Kultur und Herkunft thematisierten.

Und andererseits jene Zeichner vor allem bunter Unterhaltungs-Serien, die sich auf Jerry Siegel und Joe Shuster berufen können und die ab den vierziger Jahren den permanenten Hunger des Publikums nach Zehn-Cent-Heften stillten. Spätestens nach dem zweiten Weltkrieg fand das Judentum hier nur noch in versteckter, verklausulierter oder ironisch gebrochener Form statt. Zwar kreierten Stan Lee und Jack Kirby mit den „X-Men“ (1961) die Prototypen der von der Gesellschaft verstoßenen Helden. Und Ben Grimm, das „Ding“ der Fantastischen Vier (ebenfalls von Kirby und Lee), ist laut seiner Comiclegende in einer jüdischen Familie in einem jüdischen Viertel aufgewachsen. Zu sehen ist davon in den Comics freilich nichts. Diese Comics ziehen sich auf Codices zurück, die nur versteht, wer danach sucht.

Zwei Prototypen der jüdischen Comicerzählung lassen sich darin sehen, die als Muster in beinahe allen Werken entsprechender Künstler wiederzufinden sind: einerseits der überlebensgroße, strahlende Held a la Superman, andererseits der Underdog und im Wortsinne kleine Mann, wie Herschfield, Eisner und Spiegelman ihn zeichnete. Jüdische Comics handeln praktisch immer ausschließlich von Davids oder Goliaths.

Einer der wenigen Künstler, der die zwei widersprüchlichen Elemente überaus erfolgreich verschmolzen hat, fehlt nun ausgerechnet in der Ausstellung. René Goscinny war ab 1959 als Autor federführend in der Kreation des Comicduos Asterix und Obelix, dem kleinen, bodenständig-listigen Helden und dessen großen, unbesiegbaren Begleiter.

Sabraman - der erste israelische SuperheldStatt dessen wird die europäische Tradition, die naturgemäß schmal ist, fast ausschließlich durch Joan Sfar repräsentiert. Der junge Franzose hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Menge an Comics ausgestoßen. In Büchern wie „Die Katze des Rabbiners“ oder „Klezmer“ verbindet er scheinbar mühelos das Fantastische mit dem Realistischen, das Reale mit dem Eskapismus. Ohne die Vorarbeit eines Goscinny wäre freilich auch ein Sfar kaum denkbar.

Daher wirkt Sfar in der bestehenden Ausstellung trotz seiner absolut zentralen Position für den modernen Comic ein wenig wie ein Fremdkörper. Nicht anders als – ausgerechnet! – die israelischen Künstler, die nur ganz am Rande einen Platz finden. Darunter Uri Fink, der, 1963 geboren, bereits als Fünfzehnjähriger seine eigene Version von Superman kreiert hat. „Sabraman“, blauweiß und mit dem Davidstern auf der Brust. Und auch hier war das Cover im Hintergrund blutrot.

Helden Freaks und Superrabbis: Jüdisches Museum Berlin, 30 April bis 8. August

http://www.jmberlin.de/comic/

2 Responses to “SPIEGEL.de: David oder Goliath sein. – Jüdische Comics in Berlin.”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Dem Krieg nachzeichnen. Zum Tod von Joe Kubert says:

    […] David oder Goliath sein. Jüdische Comics in Berlin […]

  2. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (1): Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger says:

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