Da war doch noch was. Mindestens vierundzwanzig Texte, die schon längst in diesem Blog stehen sollten, aus diesem oder jenem Grund aber nicht hier landeten. Als kleiner Weihnachtskalender finden sie jetzt Verwendung. Heute: zwei Bettgeschichten zum Fest der Liebe.

Ein auf dem Erlanger Comicsalon verteiltes Preview-Heft fasst das Konzept der Anthologie „Bettgeschichten“ gleich im ersten Satz des Vorwortes zusammen: „Geben Sie einem Künstler oder einer Künstlerin ein Zeichenwerkzeug zur Hand, und früher oder später werden sie Schweinerein zeichnen“.

Das ist soweit vermutlich richtig, und es sollte betont werden, dass diese Anthologie diverser Independent-Zeichner sich nicht mit Drumrum-Gerede aufhält. Es sind Sexepisoden. Wäre der Begriff nicht so negativ belegt, könnte man auch Pornografie dazu sagen.

Und das ist ein Dilemma. Sex ist in der Regel nicht besonders tiefsinnig, die Möglichkeiten, wo die Handlung langlaufen kann, bekannt. Daher sind gute Geschichten über Sex selten. Gute Comics über Sex zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie grafische Klischees vermeiden, nicht in stereotype, hochglanzgefällige Idealisierung verfallen.

Ein paar der Comics in diesem Buch gelingt das sehr gut. Es sind verblüffenderweise vor allem die Frauen, die ihre Fickfantasien in der Regel mit leichter Ironie und bei aller Eindeutigkeit des Geschehens nicht ohne Gefühle zeichnen.

Die wunderbare Maike Plenzke hier in ihrer ersten (mir bekannten) längeren Erzählung, oder die durch ihren Comicstrip „Zuckerfisch“ bekannte Naomi Fearm mit der vermutlich witzigsten Schilderung eines Dreiers, die es bis dato im Comic gab.

Überhaupt, Humor hilft. Mawil inszeniert einen unfreiwilligen One-Night-Stand als Slapstick-Posse, Eckart Breitschuh ein bizarres Wald-SM-Abenteuer (fifty shades of green?) als Komödie der Unterwerfung.

Demgegenüber stehen leider zu viele Geschichten, die trotz grafischer Experimentierfreude allzusehr in die Nähe des Porno-Standard-Plots „Großes Gemächt – gefälliges Girl“ (oder Boy) kommen.

Natürlich, grafisch ist selbst das toll aufbereitet. Trotzdem, die inhaltliche Standardkost enttäuscht in einem Produkt, das sich doch ein wenig von genau dieser abheben will (wie nicht zuletzt das widerborstige Cover belegt). Für die unvermeidliche Fortsetzung wäre etwas mehr Spielfreude wünschenswert.

Das kann man auch über Jimmy Beaulieus Erstling sagen. Der widmet sich, auf fast 300 Seiten, einer erotischen tour-de-force im kanadischen Hinterland.

Drei, vielleicht sogar mehr Handlungsstränge laufen hier parallel ab: das Paar, das ein altes Hotel auf dem Land kauft und sich dort sexuell austobt, der Schriftsteller, der unglücklich in eine Lesbe verliebt ist, die Lesbe, die mit der Bäckerin anbandelt.

Leider laufen die Stränge nur ab. Beaulieu verpasst es, das Geschehen sinnvoll zu einem Ganzen zu verknüpfen. Ab der zweiten Hälfte der immerhin fast 300 Seiten starken Erzählung gerät ihm das Geschehen sogar ganz außer Kontrolle. Statt die diversen Plots vorwärts zu treiben, erschöpft er sich in immer neuen Tagträumen, Kostümierungen und erotischen Verrenkungen.

Der abrupte Schluß des Buches, ohne auch nur einen der Handlungsstränge zu Ende gebracht zu haben, mag als stummes Eingeständnis des Scheiterns des Autors gelten. Schade ist es dennoch, denn die Geschichte beginnt nicht nur als sehr schöne versponnene Spielerei, sondern ist mit seiner Anknüpfung an moderne französische Independent-Zeichner auch grafisch äußerst angenehm aufbereitet.


Diverse: Bettgeschichten; Zwerchfell Verlag, 100 S.; € 20,00
Jimmy Beaulieu: Ein philosophisch pornografischer Sommer; Schreiber & Leser, 288 S.; €22,80

Der Rest vorm Fest:

01 – Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger
02 – King Aroo
03 – Comic Noir
04 – Habibi
05 – House of Mystery
06 – Alan Moores Neonomicon
07 – The Unwritten
08 – Frostfeuer
09 – Zahra’s Paradise
10 – Spirou
11 – Johann & Pfiffikus
12 – Kimba vs. Gon
13 – Asja Wiegand & Ulf Salzmann
14 – Asterios Polyp
15 – Der Tod des ultimativen Spider-Man
16 – „Jerusalem“ von Guy Delisle
17 – „Packeis“ von Simon Schwartz
18 – Ich habe Adolf Hitler getötet
19 – „Gastoon“ und „Marsu Kids“
20 – 2 x Isabel Kreitz
21 – Das Inferno!
22 – Marzi
23 – Don Quijote
24 – Bettgeschichten

FROHES FEST!

2 Responses to “Der Rest vorm Fest (24): Bettgeschichten”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Gratis-Comic-Tag 2013 (2) says:

    […] Beaulieus „pornografischem Sommer“ war ich an anderer Stelle schon offen enttäuscht. Zuviel hübsche Grafik, zu wenig Plot. Schreiber & Leser scheint den Kanadier als Hausmarke […]

  2. Stefan Pannor » Blog Archive » In eigener Sache says:

    […] Ich habe sie dann, meist mit etwas oder ganz viel zeitlichem Abstand, hier veröffentlicht. Zuletzt einen großen Haufen davon in meinem Weihnachtskalender. […]