Am 10. Mai ist wieder Gratis-Comic-Tag. Wie in jedem Jahr bringe ich vorab ein paar kurze, launische, absolut nicht vollständige und ganz und gar subjektive Besprechungen einzelner Titel.

Hubertus Rufledt/ Helge Vogt
Alisik
(Carlsen)

Natürlich: originell ist das nicht. Zeichner Helge Vogt dürfte diesen Vorwurf schon öfter zu hören bekommen haben, wenn er im Nachwort abwiegelt, „natürlich gibt es sicher unzählige Inspirationen: Manga, US-Comics, Filme, Graffiti, Berlin“.

Mühelos erkennbar sind Henry Selick und Hayao Miyazaki, Victoria Frances und „Death Note“ könnten auch eine Rolle gespielt haben. Die Gothic-Girl-Schauermär vom untoten Mädchen mit ihren sechs toten Freunden auf dem einsamen Friedhof liest sich am ehesten als popkulturelle Kollage. Da darf man, wenn ein Junge auftaucht, der mit den Toten reden kann, auch an „The Sixth Sense“ denken. Soll man vielleicht sogar.

Denn die, vorsichtig gesagt, Zitatlastigkeit von „Alisik“ dürfte die Zielgruppe nicht stören. Im Gegenteil, ist doch „mehr vom selben“ einer der Hauptmotoren der Kulturindustrie. Und wie der ehemalige „Mosaik“-Autor Hubertus Rufledt und Helge Vogt das alles zusammenpuzzeln und kleben, ist ja tatsächlich nicht ohne Charme und auf jeden Fall gut zu lesen.

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Brrémaud/ Bertolucci
Richard Löwenherz
(Dani Books)

Nein, nicht Bernardo Bertolucci. Das nur vorweg.

„Richard Löwenherz“ ist einer der seltenen Einträge in die Kategorie der ernsten oder wenigstens mal semi-ernsten Animal-Comics, von denen zuletzt nur „Blacksad“ einigermaßen mit Erfolg hierzulande lief und von denen es ruhig mehr geben könnte.

Der Comic orientiert sich stärker als bei solchen Geschichten üblich am realen Richard Löwenherz, konkret an den Geschehnissen während des Dritten Kreuzzugs und der Rückeroberung von Akkon, die er nichtsdestotrotz als Geschichte von Abenteuern und Intrigen schildert.

In selten gesehener Manier wagt die Erzählung dabei einen Tanz zwischen ernsthafter Geschichtsaufarbeitung, erzählerischen Freiheiten, ironischen und selbstironischen Komponenten, die weit über den handelsüblichen Historiencomic hinausgehen.

Grade mit seinen bewusst gewählten Freiheiten, Abweichungen vom historischen Geschehen und ironischen Seitenhieben fordert die Erzählung daher einen aufmerksamen Leser, ohne je den Gestus der leichtfüßigen Abenteuererzählung abzulegen.

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Èmile Bravo
Pauls fantastische Abenteuer
(Carlsen)

Paul heisst im Original Jules, eine leicht zu entschlüsselnde Anspielung auf Jules Verne. Ob man dem deutschen Publikum diesen Namen wirklich nicht zumuten kann und aus Jules darum Paul wurde, darüber kann man streiten. Wenigstens ist auch dieser Name eine Anspielung auf eine urfranzösische Tradition, nämlich die Kurzcomics um den Erkläronkel Paul.

Man kann, was Émile Bravo da geschrieben und gezeichnet hat, als rundherum schönen Science-Fiction-Funny mit kruden Aliens und einer handfesten Dramaturgie lesen. Aber besser fährt man, wenn man die Anspielungen und Subtexte erkennt. Die sind da nicht zum Spaß: Bravo macht nichts anderes, als ein klassisches Topi der Jugenderzählung, den jugendlichen Raumfahrer, der im Weltall unglaubliches erlebt, zu dekonstruieren.

Das ist dann erwachsener, als es zunächst den Anschein hat, handelt von genetischer Vorauswahl und Menschenmanipulation (kurz: die Schurken sind hier tatsächlich mal Böse und machen sehr unangenehme Sachen), lässt auf angenehm widerborstige Weise japanische Erzählelemente die sonst so gern hermetische französische Comictradition aufbrechen und ist überhaupt ein großer Spaß für all jene, denen ihr frankobelgischer Comic keine Religion ist. Es schwimmt natürlich im Fahrwasser von Trondheim und Sfar, aber es schwimmt da gut.

Dass das Heft dann in Form von Skizzen und Entwürfen Bonusmaterial enthält, das im – schon vor geraumer Zeit erschienen – Album fehlt, ist für die Albenkäufer aber schlicht ärgerlich.

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Und wo gibt es diese Hefte? Hier.

Die Artikel zum Gratis-Comic-Tag 2014:

  • Teil 1
  • Teil 2
  • Teil 3
  • Teil 4
  • Man bleibt unter sich. – Ein (Vorab-)Fazit zum Gratis Comic Tag 2014
  • Die Artikel zum Gratis-Comic-Tag 2013:

  • Teil 1
  • Teil 2
  • Teil 3
  • Teil 4
  • Teil 5
  • Die Artikel zum Gratis-Comic-Tag 2012:

  • Alben
  • Funnies
  • Action
  • Indies
  • Helden und Verlierer
  • Anthologien
  • Die Artikel zum Gratis-Comic-Tag 2011:

  • Die Funnies
  • Die Fiesen
  • Fantasy & Science Fiction
  • Die Indies
  • Die Artikel zum Gratis-Comic-Tag 2010:

  • Götter, Spötter, kleine Mädchen
  • Unter Indies
  • 3 Responses to “Gratis-Comic-Tag 2014 (02)”

    1. Stefan Pannor » Blog Archive » Gratis-Comic-Tag 2014 (03) says:

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      […] Teil 2 […]